Die rezente Entscheidung Großbritanniens innerhalb ihrer rezenten „Integrated Review of Security, Defence, Development and Foreign Policy“ das Nuklearwaffenarsenal um 40% zu erhöhen, ist verantwortungslos und verstößt gegen bestehende Abrüstungsverträge. Sie leisten dem bestehenden nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) einen „Bärendienst“.
Dieser internationale NVV-Vertrag aus dem Jahre 1970 wurde von den fünf Atommächten USA, Frankreich, VR China, Großbritannien und der Sowjetunion initiiert. In der Zwischenzeit sind 191 Länder diesem Vertrag beigetreten. Er regelt das Verbot der Verbreitung und die Verpflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen, sowie das Recht auf die „friedliche Nutzung“ der Kernenergie. Artikel VI dieses Vertrages besagt, dass die Atommächte „in redlicher Absicht Verhandlungen (…) führen (…) über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“.
Seit Jahren kritisiert die Friedensbewegung, dass die Abrüstungsschritte im Rahmen dieses Vertrages mehr als mau sind. Großbritannien liefert mit ihrer atomaren Aufrüstungsentscheidung den besten Beweis, es ist ein fatales Signal an die Staatengemeinschaft. Auch die Großmächte USA, Russland und China nehmen den Passus mit der „allgemeinen und vollständigen Abrüstung“ nicht so genau. So ganz nebenbei untergräbt die britische Regierung mit ihrer Entscheidung ein nicht unwichtiges Argument: Künftige NATO-Kritik an der nuklearen Aufrüstung Russlands und Chinas verlieren massiv an Glaubwürdigkeit.
Die internationale Bewegung ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) kommentiert das britische Vorgehen unmissverständlich: „Die neue Verteidigungsstrategie ist ein fatales Signal an die Staatengemeinschaft. Die Aufrüstungspläne bieten keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit, verspielen Vertrauen und finanzielle Ressourcen. Die Ankündigung vergegenwärtigt wie konkret die Gefahr eines erneuten atomaren Wettrüstens ist, und dass das bestehende Kontrollregime leicht untergraben werden kann.“
Pikant wird das Ganze nun durch den seit Januar in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) der Vereinten Nationen. Dieser Vertrag ist eine internationale Vereinbarung die Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung, Einsatz und gar die Drohung von Kernwaffen verbietet. Laut Völkerrecht sind Atomwaffen seit Januar geächtet und verboten. Dass alle Atommächte und die NATO als Militärbündnis diesen Vertrag ablehnen und sich so dem Willen der Weltgemeinschaft widersetzen, ist schon ein starkes Stück. Eines ihrer ablehnenden Argumente wird gebetsmühlenartig seitens aller NATO-Granden vorgetragen: Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) kann das Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht realistisch umsetzen und er schaffe Probleme, den bereits seit Jahrzehnten geltenden nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) durchzusetzen. Überhaupt unterlaufe dieser Verbotsvertrag der Vereinten Nationen die Bemühungen im Rahmen des NVV-Vertrages Abrüstungsschritte zu tätigen. Grund hierfür seien die ungenügenden Kontrollstandards im Verbotsvertrag. Wie die NATO zu solch einer Einschätzung kommt, bleibt vielen schleierhaft.
Eine Backpfeife der besonderen Art.
Eine gehörige Backpfeife erhielt diese Argumentation vor wenigen Wochen durch ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Das Gutachten gelangte zum Schluss, dass „der ganz überwiegende Teil der Völkerrechtsliteratur, darunter ausgewiesene Experten aus dem Bereich des „International disarmament law“ von Universitäten und Forschungsinstituten, (…) zu dem Ergebnis (kommt), dass beide Verträge weniger in einer rechtlichen Konkurrenz, als in einem Komplementärverhältnis zueinanderstehen. Das bedeutet konkret: Der AVV steht juristisch nicht in Widerspruch zum NVV. Der AVV unterminiert den NVV nicht, sondern ist Bestandteil einer gemeinsamen nuklearen Abrüstungsarchitektur. Der AVV ist daher auch kein Hemmnis für die nukleare Abrüstung, hätten die NVV-Staaten nur den politischen Willen dazu.“ Zu diesem Gutachten schweigt bei den NATO-Granden bisher „des Sängers Höflichkeit“.
Zudem wird immer wieder unterschwellig das Argument bedient, dass der Verbotsvertrag eigentlich nicht vereinbar mit einer NATO-Mitgliedschaft sei. Die Aussage von zwei ehemaligen NATO-Generalsekretären, Javier Solana und Willy Claes, stößt in der NATO-Zentrale in Brüssel auf taube Ohren. Solana und Claes betonen unmissverständlich die Vereinbarkeit des Atomwaffenverbotsvertrages mit der NATO-Mitgliedschaft. Dies ist kein Widerspruch. Im Gründungsvertrag der NATO aus dem Jahre 1949 werden Atomwaffen nicht erwähnt, daher können NATO-Mitgliedsstaaten unterschiedliche Meinungen zu Atomwaffen haben.
Aber jetzt: „Butter bei die Fische“.
Pandemiebedingt wurde die 10. Überprüfungskonferenz des NVV-Vertrages auf die erste Jahreshälfte 2021 verschoben. Diese alle fünf Jahre stattfindende Konferenz, soll die Umsetzung und Einhaltung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages überprüfen und sich auf Maßnahmen zur Vertragserfüllung, also auch Abrüstungsschritte, einigen. Besonders weil die letzte Überprüfungskonferenz im Jahre 2015 ohne Ergebnisse abschloss, wird die diesjährige Tagung zum Lackmustest. Die Vorbedingungen sind alles andere als einfach: Keine nennenswerte Bewegung bei der atomaren Abrüstung, nukleare Aufrüstung in Großbritannien, Modernisierungsprogramme der Atomwaffen allenthalben.
Zum Jahrestag des 50jährigen Bestehens des NVV-Vertrages, riefen vor Jahresfrist die Außenminister aus 15 Ländern, im Rahmen der sogenannten „Stockholm-Initiative“, die Atommächte zur Reduzierung ihrer Nuklearwaffenbestände auf: „Jetzt ist die Zeit zu handeln, um nukleare Risiken zu verringern“ lautete die Botschaft in einer gemeinsamen Erklärung. Die Politiker formulierten zudem 22 Vorschläge für Schritte zur nuklearen Abrüstung. So heißt es unter anderem: „Kernwaffenstaaten erkennen die Notwendigkeit an, sicherzustellen, dass Kernwaffen nie wieder eingesetzt werden und dass die nukleare Abrüstung vorangetrieben wird; Die Kernwaffenstaaten reduzieren ihre Kernwaffenbestände bzw. setzen ihre Reduzierung fort und tragen zu Rüstungskontrollvereinbarungen der nächsten Generation bei; Kernwaffenstaaten erörtern eine Verringerung der Rolle der Kernwaffen in ihrer Politik und ihrer jeweiligen Doktrin kollektiv bzw. auf einzelstaatlicher Ebene und ergreifen diesbezüglich praktische Maßnahmen; Alle Staaten unterstützen die Einrichtung von kernwaffenfreien Zonen in allen Regionen der Welt auf der Grundlage von Vereinbarungen, die zwischen den Staaten der betroffenen Region freiwillig erzielt werden (…).“
Der Lackmustest für die Überprüfungskonferenz wäre bestanden, wenn die Überlegungen der „Stockholm-Initiative“ einfließen und der Atomwaffenverbotsvertrag als Bestandteil einer gemeinsamen Abrüstungsarchitektur angesehen würde.
Was bedeutet dies nun für das NATO-Partnerland Luxemburg?
- Die nukleare Aufrüstung Großbritanniens anprangern.
- Dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten.
- Bei der anstehenden Überprüfungskonferenz die Vorschläge der „Stockholm-Initiative“ unterstützen und den Atomwaffenverbotsvertrag als wichtiges Instrument für die Schaffung einer atomwaffenfreien Welt einbringen.
Raymond Becker
Koordinationsteam der
Friddens- a Solidaritéitsplattform