Engagiert euch, werdet rebellischer!

Ried vum Raymond Becker um Ouschtermarsch den 3.4 21 zu Saarbrécken fir QuattroPax, eng grenziwwerschreidend Friddensinitiativ an eiser Groussregioun.

Die Alarmglocken schrillen lauter denn je, doch unsere Gesellschaft geht erstaunlich lässig mit den Gefahren um. Allein in den letzten 3 Monaten wurden die menschengefährdenden Bedrohungen nochmals kompromisslos aufgezeigt.

Im Januar begann es mit dem Weltrisikobericht des Weltwirtschaftsforums (WEF). Extreme Wetterlagen, Versagen im Kampf gegen den Klimawandel und menschengemachte Umweltschäden: Das sind laut Weltwirtschaftsforum die größten Gefahren für die Erde. Auch die Massenvernichtungswaffen werden in diesem Bericht als Risiko und als eine reale Gefahr mit schwerwiegenden Folgen eingestuft.

Es folgte die Einstellung der sogenannten Doomsday-Clock. Wissenschaftler und engagierte „Elder Statesman“ wollen mit dieser bildhaften Uhr signalisieren, wie nah die Menschheit an der Selbstzerstörung ist. Die Einstellung wird geprägt durch die Gefahr der Atomwaffen, den Klimawandel, disruptive Technologien wie Bio- und Cybersicherheit, sowie Künstliche Intelligenz, Nutzung und Manipulation von Informationen oder Internet.

Die Uhr wurde bei 100 Sekunden vor Mitternacht eingestellt, gefährlich nahe am Kipppunkt.

Bei ihrer Einstellung spielte auch die Coronavirus-Pandemie eine Rolle. Die Wissenschaftler sehen in der Pandemie eine Art historischer Weckruf. Das Virus hat unsere Verwundbarkeit schonungslos wie noch nie aufgedeckt. Die Regierungen und internationale Organisationen sind nicht darauf vorbereitet komplexe und gefährliche Herausforderungen wie die von Atomwaffen und Klimawandel zu bewältigen. Oder plakativer ausgedrückt: Die Folgen der Pandemie sind gravierend und werden dauerhaft sein. Aber diese Pandemie wird anders als die Atomwaffen und der Klimawandel, die Zivilisation nicht auslöschen. Es gibt keine Impfung gegen Klimawandel und Atomwaffen.

Im Februar begannen die sogenannten Countries Overshoot-Days, also jene Tage, an dem das jeweilige Land seine natürlichen Ressourcen aufgebraucht hat, die das Land innerhalb eines Jahres wiederherstellen und damit nachhaltig zur Verfügung stellen kann. Es begann am 9. Februar mit Qatar, gefolgt von Luxemburg, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kanada, USA, Kuwait, Australien, Dänemark, Belgien, in wenigen Stunden Südkorea, Schweden Finnland, am 5. Mai Deutschland. Wir leben auf Pump. Wir müssen auch als Friedensbewegung verdeutlichen, dass wir unsere Erde nicht von unseren Vorfahren geerbt haben, sondern von unseren Nachfahren geliehen.

Vor wenigen Wochen rechnete das Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) aus London vor, dass ungeachtet der Corona-Pandemie die Militärbudgets für 2020 stiegen. In wenigen Tagen veröffentlicht das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI die neusten Zahlen betreffend die weltweiten Rüstungsausgaben. Vieles deutet darauf hin, dass die Militärausgaben weltweit fast 2 000 Milliarden US-Dollar erreichen werden. Welch eine Verschwendung, welch ein Skandal.

SIPRI meldete vor wenigen Tagen, dass die Rüstungsexporte weiter auf hohem Niveau bleiben. Während die Exportzahlen von Russland und China rückläufig waren, nahmen die der USA, Frankreich und Deutschland zu. Die Friedensbewegung steht für einen kompletten Stopp aller Rüstungsexporte, ohne Wenn und Aber, daran gibt es nichts zu deuteln.

In diesem Zusammenhang kommt die Nachricht, dass die Europäische Union mit der „European Peace Facility“ für runde 5,7 Milliarden Euro Waffen auch in Krisengebiete liefern kann. Der Name dieser „EU-Friedensfazilität“ täuscht. Mit Friedensförderung hat diese Institution nichts zu tun. Es handelt sich eigentlich um eine Kriegskasse um auch zukünftige EU-Militäreinsätze oder die Aufrüstung sogenannter befreundeter Länder finanzieren zu können. Dies ist ein Wandel der EU-Sicherheitspolitik: Mit einem eigens geschaffenen Budget außerhalb des EU-Haushalts, sollen erstmals Waffen- und Munitionslieferungen an Drittstaaten ermöglicht werden.

Ein Friedensnobelpreisträger ist auf dem Weg zum Waffenhändler.

Die Friedensbewegung bleibt mehr denn je dabei: Wir sind gegen die zunehmende Militarisierung der Europäischen Union. Statt einer „Armee der Europäischen Union“ brauchen wir eine neue Friedensarchitektur in einem gemeinsamen „Europäischen Haus“, also von Lissabon bis Wladiwostok. Frieden braucht Multilateralismus! Die EU muss ein rein ziviles Projekt und eine Friedensunion werden. Wir sind für eine Union der Abrüstung und Entmilitarisierung; wir sind für eine Union der kooperativen und solidarischen Außen-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik.

Wir sehen die Bilder fast täglich: Die unmenschlichen Bedingungen der Migranten im Einzugsbereich der Europäischen Union. Vor wenigen Tagen prangerte das Anti-Folter Komitee des Europarates die Zustände für Migranten auf Malta an. Das Komitee spricht von „institutioneller Massenverwahrlosung“. Malta, Griechenland und sonst wo: Die Europäische Union wird immer mehr zu einem Raum der Abschottung und des Wegsehens.

Die Friedensbewegung sagt Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager. Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte sind die Pfeiler einer Europäischen Union. Die Friedensbewegung muss dem seitens der EU-Kommission geplanten »New Pact on Migration and Asylum« resolut entgegentreten.

Als Friedensbewegung nehmen wir diese Gefahren verdammt ernst, wir wissen, dass Klimawandel, Atomwaffen, Kriege und Konflikte, EU-Militarisierung, Rüstungsausgaben, ökologischer Fußabdruck und Migration in einer engen Wechselbeziehung stehen.

Die Europapolitik braucht jetzt einen radikalen Neubeginn, in der Friedenspolitik, im Sozialen, im Ökologischen. Milliarden Euro, die in unsinnige wie gefährliche Aufrüstung fließen, müssten angesichts der inneren Verfasstheit der Europäischen Union für soziale und ökologische Investitionen und – global betrachtet – auch die Bekämpfung von Fluchtursachen verwendet werden.

All dies ist manchen Leuten egal. Rezente NATO-Tagungen oder die Special Edition der sogenannten Münchener Sicherheitskonferenz im Februar sind Beweise dafür.

Mitte Februar begannen die 30 Verteidigungsminister der NATO ihre Beratungen über ein Reformkonzept „NATO 2030: United for a New Era (NATO 2030: Vereint für eine neue Ära)“. Einer der Kernsätze dieses Berichtes lautet: „Die NATO muss sich an die Erfordernisse herausfordernderer strategischer Rahmenbedingungen anpassen, die durch die Rückkehr systemischer Rivalitäten, einem unablässig aggressiven Russland, den Aufstieg Chinas und die wachsende Bedeutung neuer Technologien geprägt werden.“

In diesem Bericht gibt es keine Vorschläge für vertrauensbildende Maßnahmen, Säbelrasseln ist angesagt. Neben Russland rückt besonders China stärker ins Visier der NATO. Bemerkenswert im Bericht ist, dass der Indo-pazifische Raum als neuer Aufgabenschwerpunkt der NATO in den Fokus rückt.

Wir befinden uns auf einem gefährlichen Weg. Die öffentlichen heftigen Wortgefechte der letzten Wochen, die verbalen Muskelprotzereien, hoffen wir, dass sie zu keiner unumkehrbaren politischen Eiszeit beitragen. Wir brauchen dringend eine konstruktive und kooperative Diplomatie.

Die Friedensbewegung muss sich in den kommenden Monaten intensiv mit dieser angedachten neuen Strategie der NATO beschäftigen. Einer NATO, die sich immer mehr von einem Verteidigungsbündnis zu einem Interventionsbündnis entwickelt hat und weiterentwickeln wird.

Wir wollen keine neue militärische NATO-Strategie, wir wollen die Auflösung aller Militärbündnisse. „Military alliances 2030: Resolution for a New Era (Militärbündnisse 2030: Auflösung für eine neue Ära)“, dies muss die Zielvorgabe sein. Die Friedensbewegung muss sich hierfür nicht nur grenzüberschreitend, sondern auch europäisch stärker vernetzen und sie muss eine Vision wie „Sicherheit neu denken“ popularisieren. Wir wollen keine militärische Außen- und Sicherheitspolitik, wir wollen eine zivile Außen- und Sicherheitspolitik!

Vor wenigen Wochen gab es Pandemie bedingt, die „Special edition“ der Münchener Sicherheitskonferenz. „Im Westen nichts Neues“ so lautete, in Anlehnung des bekannten Antikriegsbuchs von Erich Marie Remarque, die Tagungsanalyse des Journalisten und Publizisten Andreas Zumach. Transatlantische Treueschwüre waren auf der Tagesordnung. Niemand erwähnte Abrüstung und Rüstungskontrolle – abgesehen von UN-Generalsekretär Guterres. Er wiederholte seine Forderung nach „Global Governance“ und seinen Vorschlag für einen weltweiten Waffenstillstand, um die Waffen unter Kontrolle zu bringen und Verhandlungen zwischen potenziellen Gegnern anzustreben. Die übrigen Rednerinnen und Redner unterstrichen derweil lieber die Notwendigkeit zur Stärkung der militärischen Kapazitäten.

Wie gewohnt gab der NATO-Generalsekretär den Einpeitscher: Den Aufstieg Chinas, ausgeklügelte Cyberangriffe, disruptive Technologien, Klimawandel, Russlands disruptives Verhalten und die anhaltende Bedrohung durch den Terrorismus waren seine Schlagworte. Kein Wort über die katastrophale Situation der Rüstungskontrollverhandlungen, kein Wort über Vorschläge für vertrauensbildende Initiativen, eine Unmenge von virtuellem Schulterklopfen unter transatlantischen Freunden war angesagt. Aufrüstung bleibt für die NATO auf der Tagesordnung. Die Haltung der Friedensbewegung bleibt kompromisslos: Wir wollen keine Aufrüstung, wir wollen keine Killer-Drohnen, wir wollen keine Killer-Roboter, welch eine Perversion menschlichen Denkens, wir wollen keine 2% BIP-Ausgaben für Rüstungswahn.

Nicht überliefert ist, wie viele Lachanfälle der NATO-Generalsekretär bei seinem neusten Thema Klimawandel provozierte. Das Militärbündnis wolle auch zum Klimaschutz beitragen, indem es die Emissionen seiner Streitkräfte reduziere. Die NATO soll klima- und umweltfreundlicher werden so ihr Generalsekretär. Diese Schalmaientöne hört man auch in den einzelnen NATO-Länder. Mal Klartext: Militär, Rüstung, Krieg können nie klimafreundlich sein. Militär, Rüstung, Krieg sind Teil des Problems beim Klimawandels. Punkt!

Eine schallende Ohrfeige gab es im Januar dieses Jahres. Die mantraartig vorgetragene NATO-Argumentation, der am 22. Januar in Kraft getretene Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) stehe im Widerspruch zum Nichtverbreitungsvertrag für Kernwaffen (NVV), platzte wie eine Seifenblase. Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages stellte die NATO-Argumentation ins Abseits. „Der AVV steht juristisch nicht in Widerspruch zum NVV“, so die unmissverständliche Schlussfolgerung des Gutachtens.

Es gehört schon eine gehörige Portion Chuzpe dazu, dass die NATO-Granden so tun als gäbe es dieses Gutachten nicht. Nutzt doch den Atomwaffenverbotsvertrag im Rahmen der anstehenden Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages. Drängt doch die Atommächte dazu, endlich die in diesem Vertrag vorgesehenen atomaren Abrüstungsschritte weltweit voranzutreiben. Unterstützt mit eurem Beitritt den Atomwaffenverbotsvertrag! Die rezente Ankündigung Großbritanniens ihr Atomwaffenpotential um 40% zu erhöhen ist ein fatales Signal. Als Friedensbewegung wollen wir ein atomwaffenfreies Europa von der Atlantikküste Portugals bis zum Uralgebirge in Russland.

Die weltweiten Gefahren für unsere Zivilisation sind unübersehbar. Die Friedensbewegung ist gefordert weiter über diese Gefahren aufzuklären, immer mehr Menschen zu überzeugen, dass sie mehr Verständnis für die Dringlichkeit zu Lösungen dieser Gefahren entwickeln. Wir müssen uns hierfür stärker vernetzen, in unseren Regionen, über die nationalen Grenzen hinaus. Wir müssen Menschen motivieren sich für eine bessere, lebenswerte Zukunft zu engagieren.

Unsere Hoffnung liegt auf einer starken Zivilgesellschaft, auf ihrem solidarischen Eintreten gegen jegliche Form von Ausbeutung und Gewalt.

Vielleicht lieferte hierzu Bertolt Brecht ein passendes Motto: „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. Die Nacht hat 12 Stunden, dann kommt schon der Tag“.

Ich habe das Glück und die Freude Menschen aus der saarländischen Friedensbewegung und der saarländischen Fridays for Futur-Bewegung kennengelernt zu haben. Eueren Überzeugungen gehört die Zukunft – es lohnt sich hierfür zu kämpfen. Dazu glaube ich, müssen wir alle rebellischer werden.

Ostermarsch Saarbrücken 3.4.2021
Redebeitrag Raymond Becker
QuattroPax
(Grenzüberschreitende Friedensinitiative in der Großregion.)