„Gewalt macht den Menschen zur Sache.“
Simone Weil
In einer Gesellschaft, wo alles schneller, besser, schöner, höher sein muss, wo der Schein mehr zählt als das Sein, sind Menschen enormen Stressfaktoren ausgesetzt. Stress ist ein wesentlicher Faktor beim Aufbau von Aggressionen. Auch und besonders Jugendliche stehen zunehmend unter Druck und reagieren nicht selten mit zunehmender Gewaltbereitschaft. Und, was besonders besorgniserregend ist: die Hemmschwelle sinkt rasant. Die Gewaltbereitschaft Jugendlicher hat qualitativ und quantitativ ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht und stellt uns als Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Selbstverständlich ist die wirksamste Prävention immer die Ursachenforschung und –bekämpfung. Im Falle der Gewaltbereitschaft Jugendlicher sind die Ursachen allerdings so vielschichtig und tief verwurzelt mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen oder Fehlentwicklungen, dass es illusorisch wäre zu meinen, man könne sie so einfach aus der Welt schaffen. Wir müssen demnach auf dieses neue Aggressionspotential reagieren.
In Luxemburg scheint sich zur Gewalt- und Aggressionsbekämpfung die in den USA entwickelte Peer-Mediation im schulischen Bereich zu etablieren. Peer-Mediation ist ein innovativer und langfristig Erfolg versprechender Ansatz der konstruktiven Konfliktbewältigung. Schülerinnen und Schüler werden zu sogenannten Peer-Mediatoren ausgebildet, die dann bei Konflikten zwischen Gleichaltrigen vermitteln. Bewiesen ist, dass Konfliktregelung durch Gleichaltrige von Konfliktpartnern gut aufgenommen wird. Dagegen ist nichts einzuwenden, außer dass es damit nicht getan ist. In einem rezenten Tageblatt-Gespräch hat der an der Uni Luxemburg tätige Prof. Dr. Georges Steffgen etwas ganz Wesentliches formuliert: „Sicherlich macht es aus sozialer Entwicklungsperspektive Sinn, Mediatorenprogramme im Rahmen eines umfassenden Schulentwicklungsprozesses mit aufzugreifen. Die begrenzte Wirkung und auch der spezifische Einsatzbereich von Streit-Schlichter-Programmen lassen es jedoch als notwendig erscheinen, insbesondere unter der Zielsetzung der Gewaltprävention, andere wissenschaftlich gestützte Vorgehensweisen stärker heranzuziehen.“
Diese Vorgehensweisen existieren und wurden anderenorts erfolgreich praktiziert. Hierzu zwei ganz konkrete Beispiele.
Null-Toleranz gegenüber Mobbing.
Dan Olweus ist Psychologe und Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bergen in Norwegen. Seit den 70ger Jahren arbeitet Olweus als einer der ersten Wissenschaftler überhaupt an der Aufarbeitung des Mobbings und der Gewaltprävention an Schulen. Er definierte den Begriff „Bullying“ oder „Mobbing“ folgendermaßen: Dass „ein oder mehrere Individuen, wiederholte Male und über einen Zeitraum negativen Handlungen von einem oder mehreren Individuen ausgesetzt sind.“ Für Olweus können diese Handlungen verbal (drohen, spotten, beschimpfen), nicht-verbal (Grimassen schneiden, böse Gesten, Rücken zuwenden) oder physisch (schlagen, schubsen, treten, kneifen, festhalten) sein. „Bullying“ erfordert ein Ungleichgewicht der Kräfte (körperlich oder psychisch) zwischen Opfer und Täter.
In Norwegen ist die Prävention von „Bullying“ seit Jahren ein politisches Anliegen. In konsequent durchgeführten Kampagnen seitens des Bildungsministeriums haben in Norwegen alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel: Die Null-Toleranz-Vision („Zero-Tolerance-Vision“) in Bezug auf „Bullying“ bei Kindern und Jugendlichen. Die Durchführung dieses Programms ist mit etwas gutem Willen der Beteiligten (Schüler, Lehrkräfte und Eltern) recht unkompliziert. Den Kern des Programms bilden 3 Ebenen, die Schulebene, die Klassenebene und die persönliche Ebene. Auf dieser individuellen Ebene werden auch die Eltern nicht aus ihrer Pflicht entlassen. Olweus ist der Auffassung, dass Problembewusstsein und Betroffensein der Lehrkräfte und der Eltern Voraussetzungen sind für den Erfolg von Prävention und Intervention. Das Modell steht für einen autoritativen Erziehungsstil. Der Psychologe Wilfried Griebel sieht in dieser Methode den „goldenen Mittelweg“ zwischen anti-autoritärer und autoritärer Erziehung. Griebel definiert autoritative Erziehung als „warmherzig-führend, die auf Teilhabe und Mitbestimmung setzt. Einfühlsamkeit ist wichtig, aber auch Strukturen sind mitbestimmend, möglichst im Einklang mit dem Kind.“ Klare Regeln und konsequentes Handeln sind von Bedeutung, auch bei dem von Olweus entwickelten Programm. Das Modell wird mittlerweile mit Erfolg weltweit eingesetzt. Alle Evaluationen haben gezeigt, dass das Programm zu einer wesentlichen Reduktion von Bullying und Opferwerdung führte. Antisoziale Verhaltensweisen wie Vandalismus, Kämpfe, Diebstahl und Schuleschwänzen gingen signifikant zurück. Das soziale Klima an den Schulen und in den Klassen wurde verbessert, sogar wurde eine positivere Einstellung zu Schule und Leistung festgestellt. Experten sind sich einig: Das Olweus Programm dürfte die bekannteste Gewaltpräventionsmethode an Schulen sein.
Es wäre dringend angebracht, in Ergänzung zur Peer-Mediation in Luxemburg eine mehrjährige nationale Kampagne wie beispielsweise die „Zero-Tolerance-Vision“ in die Wege zu leiten. Gute erprobte Erfahrungen sollte man umsetzen.
Jugendpolitik überdenken.
Die Stadt Augsburg geht neue Wege in der Jugendpolitik. An die Stelle der klassischen, angebotsorientierten Jugendpolitik tritt eine zivilgesellschaftliche Jugendpolitik, die sich an den Leitsätzen Solidarität, Eigenverantwortung, Miteinander und Umeinander orientiert. Eine so verstandene Jugendpolitik ist weit mehr als das Bereitstellen von Infrastrukturen wie Jugendhäusern und wird heutigen Herausforderungen weit eher gerecht. Das gesamte soziale Umfeld der Jugendlichen, der Markt mit seinen hemmungslos vorgetragenen Angeboten suggeriert permanent und eindringlich vermeintliche Wünsche junger Menschen. Konsum ist das Maß aller Dinge. Jugendliche sind sehr schnell in unterschiedliche Klassen aufgeteilt. Jene die Mithalten können und jene die chancenlos sind. Konflikte sind vorprogrammiert.
Augsburg bemüht sich hier um einen sozialen Ausgleich zwischen den Jugendmilieus. So wurde das klassische Ferienprogramm systematisch in vernetzte Initiativen umgestellt. Freiwillige wurden konsequenter rekrutiert, Vereine und Eltern mit einbezogen. „Tschamp“-Ferien in Augsburg erfreuen sich bei den einheimischen Jugendlichen großer Beliebtheit. Gezielte Theater- und Tanzworkshops, Stadtteilfeste, Friedensfest, Zeltlager oder Medien-Camp stehen im Angebot. Das Projekt „Change-in“ steht für solidarisches Zusammenleben in der Kommune. Zwei Mal im Jahr engagieren sich Jugendliche freiwillig um unter Begleitung eines Mentors an den unterschiedlichsten Orten aktiv zu werden. Der Zoo, das Theater, die Seniorenbetreuung, das Malteserhilfswerk oder die Sportvereine sind mögliche Einsatzstellen. „Logi-Fox“, eine multikulturelle Zeitung von Kindern und Jugendlichen gemacht, artikuliert Probleme, Fragestellungen, Ängste, Hoffnungen und Wünsche.
All diese ganz konkreten Initiativen der Stadt Augsburg versuchen in der Tat zu verhindern, dass jungen Menschen durch Gewalt zur Sache werden. Denn Sachen kann man einfach wegschmeißen.
Gewalt- und Aggressionsprävention ist vielschichtiger als man gemeinhin annimmt. Ein guter Ansatz ist sicherlich der in Tübingen praktizierte, permanente „Runde Tisch“. Es geht hier um die Bündelung der vor Ort existierenden Initiativen und Erfahrungen von Sozialarbeitern, Polizei, Kirchen, Vereinen, Schulen, Ärzten, Medien, engagierten Bürgern und Politik. Erfahrungswerte zeigen, dass durch einen solchen Austausch von „Experten“ sehr schnell engagierte Präventionspolitik entsteht.
Um ein konkretes Modell für luxemburgische Gemeinden und Schulen zu entwickeln, hat der Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel eine Kooperation mit der Klaus-Jensen-Stiftung aus Trier beschlossen, eine Stiftung die große Erfahrungswerte im Bereich der Gewaltprävention besitzt.