Muskelspiele und Stellungskrieg: Wie lange noch?

„Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen. Kein nationales Interesse lässt sich heute noch von der Gesamtverantwortung für den Frieden trennen.“

Willy Brandt im Rahmen der Verleihung des Friedensnobelpreises an der Osloer Universität im Jahre 1971. Diese Grundüberzeugung von Brandt hat bis zum heutigen Tag nichts an Aktualität verloren.

Im Namen des grenzüberschreitenden Friedensnetzwerkes QuattroPax, einem Zusammenschluss von 12 Vereinigungen aus unserer Großregion, Dank für Euer Kommen und Engagement heute hier in Spangdahlem.

Solche Mahnwachen sind der Beweis, dass wir es nicht zulassen werden, dass die Stimme des Friedens verstummt. Diese Stimme des Friedens wird dringend gebraucht sieht man die beängstigenden bellizistischen Diskurse in großen Teilen der Meinungseliten.

Mit dieser Protestaktion möchten wir unser Nein zum Air Defender 23, zu diesem größten militärischen Luftwaffenmanöver seit Bestehen der NATO zum Ausdruck bringen.

Wir möchten aber ebenso klar zum Ausdruck bringen, dass wir gegen jede Art von Militärmanöver weltweit sind. Ob diese in Ostsibirien, vor Taiwan, in Südkorea oder in der Ostseeregion stattfinden.

In Zeiten von Krieg in Europa oder gefährlichen Spannungen im Indopazifik, sind alle Militärmanöver gefährliche militärische Muskelspiele, die auf Konfrontation hinsteuern. Militärmanöver sind nie ein Zeichen der Deeskalation, Militärmanöver bedeuten immer ein Eskalationsgeprotze.

Bringen wir es klar und deutlich zum Ausdruck: In Manövern werden Kriege geübt nicht mehr und nicht weniger.

Es ist jedem verständlich, dass unser klares Nein zu diesem Air Defender 23 auch im aktuellen Kontext des Krieges in Europa zu sehen ist.

In unserer heutigen global vernetzten Welt lösen Kriege keine Probleme mehr, sie bringen nur unbeschreibliche Brutalität, Verwüstung und Zerstörung von lebensnotwenigen Infrastrukturen und natürlicher Umwelt, massive Fluchtbewegungen, sinnlosen Tod und unsägliches Leid.

Als friedensbewegte Bürger*innen muss für uns klar sein, dass alle diese schrecklichen Kriegsverbrechen aufgeklärt werden müssen und nach internationalem Völkerrecht vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gehören.

Wir brauchen dringend mehr Diplomatie statt ständigem Drehen an der Kriegsspirale und massiver Aufrüstung. Es wird keinen Frieden ohne Diplomatie geben.

Wir sind der Ansicht, dass immer mehr, modernere und auf offensive Kriegsführung ausgerichtete Waffenlieferungen die Eskalationsspirale weiter hochschraubt. Wir können dies täglich beobachten. Die Bilder aus dem Kriegsgebiet werden immer erschreckender. Kampfhandlungen auf russischem Gebiet; Ankündigung der Lieferung von Kampfjets; Sprengung des Staudamms Kachowka; prekäre Sicherheitslage um das Kernkraftwerk Saporischschja; der Einsatz von krebserregender Munition mit abgereichertem Uran; das Verlegen von taktischen Atomwaffen nach Belarus; das offene Drohen mit Atomwaffen, die Situation driftet in eine nicht mehr zu kontrollierende Lage. Warum nur? Warum diese Verbrechen an Menschen, Umwelt und Klima?

Und wenn dies nicht schon alles katastrophal genug wäre, erklärte vor wenigen Tagen der ehemalige NATO-Generalsekretär Rasmussen, heutiger Berater der ukrainischen Regierung, dass eine Gruppe von Nato-Ländern bereit sein könnte, Truppen in die Ukraine zu entsenden, wenn die Mitgliedstaaten, darunter die USA, Kiew im kommenden Monat auf dem Gipfeltreffen des Bündnisses in Vilnius, keine konkreten Sicherheitsgarantien geben würden.

Geht’s noch? Wie lange lassen wir als Zivilgesellschaft solche haarstäubenden Gedanken noch zu? Wie lange wollen wir als Zivilgesellschaft dieses Kriegs-Eskalationsgeschwätz noch dulden? Ja, der Ukraine, diesem geschundenen Volk muss geholfen werden. Diese Hilfe wird aber nicht mit immer mehr militärischen Gedöns zu erreichen sein.

Diesen Krieg wird niemand gewinnen. Wer etwas anderes behauptet, will keinen Frieden, der will nur Konfrontation, Zerstörung und Vernichtung.

Mich erinnert die aktuelle Lage immer mehr an den Herbst 1917 bei Verdun. Eine horrende Zahl von Toten und unvorstellbarer Materialverschleiß für nichts und wieder nichts.

Damals wie heute gab und gibt es eigentlich nur einen Gewinner bei diesen Kriegen, die Rüstungsindustrie. Sogenannte „Experten“ aus den von der Rüstungsindustrie finanzierten Denkfabriken, überschwemmen die Medien mit irgendwelchen Analysen und drängen auf immer mehr Waffen. Welch eine Perversion, dass die Aktienkurse dieser Industriezweige durch die Decke schießen.

Schluss mit diesem irrsinnigen Krieg, „Die Waffen nieder“ um es mit Bertha von Suttner zu formulieren, Waffenstillstand jetzt und zielführende Verhandlungen welche Lösungspotentiale beinhalten. Und sage mir keiner Verhandlungen wären nicht möglich. Falls die USA mit der Ukraine Klartext reden und nicht dauernd eigene geopolitische Interessen ins Spiel bringen würden, wenn China, Indien, Brasilien, Südafrika konsequent Druck auf Russland ausüben würden, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist, wären Waffenstillstand und Verhandlungen keine Utopie. Die Menschen wollen keinen Krieg, die Menschen wollen Frieden.

Apropos Atomwaffen, man sollte dieses Thema nicht vorschnell von der Hand weisen. Das hysterische Geschwafel auf Russlands Staatsmedien betreffend Simulationen von Atombombeneinsätzen auf europäische Hauptstädte, die unterschwellige Drohung eines taktisch begrenzten Einsatzes dieser Waffen, dies alles sollte ernst genommen werden. All diese Drohgebärden erhöhen massiv das Risiko einer nuklearen Eskalation.

Was für ein G7-Gipfel – Desaster vor wenigen Tagen in Hiroshima betreffend die Frage dieser abscheulichen Waffen. An diesem symbolträchtigen Ort, welch eine Schande für die führenden Industrienationen dieser Welt mit ihrer „Hiroshima Vision on Nuclear Disarmament“. Außer den seit Jahrzehnten nichts bringenden Aussagen zur nuklearen Abrüstung, bedeutet die Erklärung von Hiroshima einen klaren Rückschritt. Im November in Bali hatten die G20-Staaten, ein informeller Zusammenschluss der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer – darunter alle G7-Staats- und Regierungschefs – betont: „Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen ist unzulässig.“ Dieser Passus fehlt völlig.

Anstatt den Bedrohungen mit einem konkreten, glaubwürdigen Plan zur nuklearen Abrüstung zu begegnen, wie beispielsweise dem Beitritt zum Vertrag über das weltweite Verbot von Atomwaffen, hat die Tagung in Hiroshima diese Chance nicht genutzt.

Viele Überlebende (Hibakusha) der Abwürfe von Hiroshima und Nagasaki, wie die Aktivistin Setsuko Thurlow, äußerten sich verärgert und enttäuscht über den Gipfel. Die 91-jährige Thurlow bezeichnete den G-7-Gipfel als „riesigen Misserfolg“ und nannte die veröffentlichte Erklärung eine „Blasphemie gegenüber den Überlebenden der Atombombe“. Wie kann man aus Sicht der Hibakushas den Besitz von Atomwaffen zur Abschreckung befürworteten und den seit 2021 in Kraft getretenen Vertrag über das Verbot von Atomwaffen der Vereinten Nationen nicht einmal erwähnen.

Die Forderungen der Friedensbewegung in unserer Großregion bleiben klar: Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg müssen sich zum Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen bekennen.

Wir wollen ein atomwaffenfreies Europa von Lissabon bis Wladiwostok.

Ich möchte den französischen Philosophen Edgar Morin zitieren. In seinem rezenten Büchlein „Von Krieg zu Krieg“ formuliert Morin: „Je mehr der Krieg sich verschärft, desto schwieriger wird der Frieden, aber desto dringender ist er nötig. Dieser Krieg verursacht eine gewaltige Krise, die alle anderen gewaltigen Krisen des Jahrhunderts, unter denen der Mensch leidet, verschlimmert und verschlimmern wird, nämlich die ökologische Krise, die Wirtschaftskrise, die Krise der Zivilisationen und die Krise des Denkens.“

Morin fordert uns auf, klar und energisch für einen gerechten und dauerhaften Frieden zu handeln.

Wir widersprechen der These, dass Sicherheit in Europa heute nur gegen Russland möglich sei. Dies führt nur zu einer massiven Aufrüstungsspirale und einen entfesselten Rüstungswettlauf. Sicherheit in Europa kann es nur Miteinander nie Gegeneinander geben.

Die Mitte März verstorbene Antje Vollmer stellte in ihrem pazifistischen Vermächtnis, geschrieben kurz vor ihrem Tod, die Frage aller Fragen: „Warum nur fand ausgerechnet Europa, dieser Kontinent mit all seinen historischen Tragödien und machtpolitischen Irrwegen, nicht die Kraft, zum Zentrum einer friedlichen Vision für den bedrohten Planeten zu werden?“

Wir brauchen eine neue europäische Entspannungspolitik, die sich an dem Leben orientiert. Wir brauchen eine europäische Sicherheitsarchitektur, in welcher eine zivile Sicherheitspolitik eine entscheidende Rolle spielen muss.

Es wird die Aufgabe der Friedensbewegung sein, sich frei nach Antje Vollmer, für die Kraft einer friedlichen Vision für diesen Kontinent einzusetzen.

Machen wir uns gemeinsam auf den Weg.