Archiv der Kategorie: Für eine Kultur der Gewaltfreiheit

Der Prävention gehört höchste Priorität.

„Gewalt macht den Menschen zur Sache.“

Simone Weil

In einer Gesellschaft, wo alles schneller, besser, schöner, höher sein muss, wo der Schein mehr zählt als das Sein, sind Menschen enormen Stressfaktoren ausgesetzt. Stress ist ein wesentlicher Faktor beim Aufbau von Aggressionen. Auch und besonders Jugendliche stehen zunehmend unter Druck und reagieren nicht selten mit zunehmender Gewaltbereitschaft. Und, was besonders besorgniserregend ist: die Hemmschwelle sinkt rasant. Die Gewaltbereitschaft Jugendlicher hat qualitativ und quantitativ ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht und stellt uns als Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Selbstverständlich ist die wirksamste Prävention immer die Ursachenforschung und –bekämpfung. Im Falle der Gewaltbereitschaft Jugendlicher sind die Ursachen allerdings so vielschichtig und tief verwurzelt mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen oder Fehlentwicklungen, dass es illusorisch wäre zu meinen, man könne sie so einfach aus der Welt schaffen. Wir müssen demnach auf dieses neue Aggressionspotential reagieren.

In Luxemburg scheint sich zur Gewalt- und Aggressionsbekämpfung die in den USA entwickelte Peer-Mediation im schulischen Bereich zu etablieren. Peer-Mediation ist ein innovativer und langfristig Erfolg versprechender Ansatz der konstruktiven Konfliktbewältigung. Schülerinnen und Schüler werden zu sogenannten Peer-Mediatoren ausgebildet, die dann bei Konflikten zwischen Gleichaltrigen vermitteln. Bewiesen ist, dass Konfliktregelung durch Gleichaltrige von Konfliktpartnern gut aufgenommen wird. Dagegen ist nichts einzuwenden, außer dass es damit nicht getan ist. In einem rezenten Tageblatt-Gespräch hat der an der Uni Luxemburg tätige Prof. Dr. Georges Steffgen etwas ganz Wesentliches formuliert: „Sicherlich macht es aus sozialer Entwicklungsperspektive Sinn, Mediatorenprogramme im Rahmen eines umfassenden Schulentwicklungsprozesses mit aufzugreifen. Die begrenzte Wirkung und auch der spezifische Einsatzbereich von Streit-Schlichter-Programmen lassen es jedoch als notwendig erscheinen, insbesondere unter der Zielsetzung der Gewaltprävention, andere wissenschaftlich gestützte Vorgehensweisen stärker heranzuziehen.“

Diese Vorgehensweisen existieren und wurden anderenorts erfolgreich praktiziert. Hierzu zwei ganz konkrete Beispiele.

Null-Toleranz gegenüber Mobbing.

Dan Olweus ist Psychologe und Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bergen in Norwegen. Seit den 70ger Jahren arbeitet Olweus als einer der ersten Wissenschaftler überhaupt an der Aufarbeitung des Mobbings und der Gewaltprävention an Schulen. Er definierte den Begriff „Bullying“ oder „Mobbing“ folgendermaßen: Dass „ein oder mehrere Individuen, wiederholte Male und über einen Zeitraum negativen Handlungen von einem oder mehreren Individuen ausgesetzt sind.“ Für Olweus können diese Handlungen verbal (drohen, spotten, beschimpfen), nicht-verbal (Grimassen schneiden, böse Gesten, Rücken zuwenden) oder physisch (schlagen, schubsen, treten, kneifen, festhalten) sein. „Bullying“ erfordert ein Ungleichgewicht der Kräfte (körperlich oder psychisch) zwischen Opfer und Täter.

In Norwegen ist die Prävention von „Bullying“ seit Jahren ein politisches Anliegen. In konsequent durchgeführten Kampagnen seitens des Bildungsministeriums haben in Norwegen alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel: Die Null-Toleranz-Vision („Zero-Tolerance-Vision“) in Bezug auf „Bullying“ bei Kindern und Jugendlichen. Die Durchführung dieses Programms ist mit etwas gutem Willen der Beteiligten (Schüler, Lehrkräfte und Eltern) recht unkompliziert. Den Kern des Programms bilden 3 Ebenen, die Schulebene, die Klassenebene und die persönliche Ebene. Auf dieser individuellen Ebene werden auch die Eltern nicht aus ihrer Pflicht entlassen. Olweus ist der Auffassung, dass Problembewusstsein und Betroffensein der Lehrkräfte und der Eltern Voraussetzungen sind für den Erfolg von Prävention und Intervention. Das Modell steht für einen autoritativen Erziehungsstil. Der Psychologe Wilfried Griebel sieht in dieser Methode den „goldenen Mittelweg“ zwischen anti-autoritärer und autoritärer Erziehung. Griebel definiert autoritative Erziehung als „warmherzig-führend, die auf Teilhabe und Mitbestimmung setzt. Einfühlsamkeit ist wichtig, aber auch Strukturen sind mitbestimmend, möglichst im Einklang mit dem Kind.“ Klare Regeln und konsequentes Handeln sind von Bedeutung, auch bei dem von Olweus entwickelten Programm. Das Modell wird mittlerweile mit Erfolg weltweit eingesetzt. Alle Evaluationen haben gezeigt, dass das Programm zu einer wesentlichen Reduktion von Bullying und Opferwerdung führte. Antisoziale Verhaltensweisen wie Vandalismus, Kämpfe, Diebstahl und Schuleschwänzen gingen signifikant zurück. Das soziale Klima an den Schulen und in den Klassen wurde verbessert, sogar wurde eine positivere Einstellung zu Schule und Leistung festgestellt. Experten sind sich einig: Das Olweus Programm dürfte die bekannteste Gewaltpräventionsmethode an Schulen sein.

Es wäre dringend angebracht, in Ergänzung zur Peer-Mediation in Luxemburg eine mehrjährige nationale Kampagne wie beispielsweise die „Zero-Tolerance-Vision“ in die Wege zu leiten. Gute erprobte Erfahrungen sollte man umsetzen.

Jugendpolitik überdenken.

Die Stadt Augsburg geht neue Wege in der Jugendpolitik. An die Stelle der klassischen, angebotsorientierten Jugendpolitik tritt eine zivilgesellschaftliche Jugendpolitik, die sich an den Leitsätzen Solidarität, Eigenverantwortung, Miteinander und Umeinander orientiert. Eine so verstandene Jugendpolitik ist weit mehr als das Bereitstellen von Infrastrukturen wie  Jugendhäusern und wird heutigen Herausforderungen weit eher gerecht. Das gesamte soziale Umfeld der Jugendlichen, der Markt mit seinen hemmungslos vorgetragenen Angeboten suggeriert permanent und eindringlich vermeintliche Wünsche junger Menschen. Konsum ist das Maß aller Dinge. Jugendliche sind sehr schnell in unterschiedliche Klassen aufgeteilt. Jene die Mithalten können und jene die chancenlos sind. Konflikte sind vorprogrammiert.

Augsburg bemüht sich hier um einen sozialen Ausgleich zwischen den Jugendmilieus. So wurde das klassische Ferienprogramm systematisch in vernetzte Initiativen umgestellt. Freiwillige wurden konsequenter rekrutiert, Vereine und Eltern mit einbezogen. „Tschamp“-Ferien in Augsburg erfreuen sich bei den einheimischen Jugendlichen großer Beliebtheit. Gezielte Theater- und Tanzworkshops, Stadtteilfeste, Friedensfest, Zeltlager oder Medien-Camp stehen im Angebot. Das Projekt „Change-in“ steht für solidarisches Zusammenleben in der Kommune. Zwei Mal im Jahr engagieren sich Jugendliche freiwillig um unter Begleitung eines Mentors an den unterschiedlichsten Orten aktiv zu werden. Der Zoo, das Theater, die Seniorenbetreuung, das Malteserhilfswerk oder die Sportvereine sind mögliche Einsatzstellen. „Logi-Fox“, eine multikulturelle Zeitung von Kindern und Jugendlichen gemacht, artikuliert Probleme, Fragestellungen, Ängste, Hoffnungen und Wünsche.

All diese ganz konkreten Initiativen der Stadt Augsburg versuchen in der Tat zu verhindern, dass jungen Menschen durch Gewalt zur Sache werden. Denn Sachen kann man einfach wegschmeißen.

Gewalt- und Aggressionsprävention ist vielschichtiger als man gemeinhin annimmt. Ein guter Ansatz ist sicherlich der in Tübingen praktizierte, permanente „Runde Tisch“. Es geht hier um die Bündelung der vor Ort existierenden Initiativen und Erfahrungen von Sozialarbeitern, Polizei, Kirchen, Vereinen, Schulen, Ärzten, Medien, engagierten Bürgern und Politik. Erfahrungswerte zeigen, dass durch einen solchen Austausch von „Experten“ sehr schnell engagierte Präventionspolitik entsteht.

Um ein konkretes Modell für luxemburgische Gemeinden und Schulen zu entwickeln, hat der Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel eine Kooperation mit der Klaus-Jensen-Stiftung aus Trier beschlossen, eine Stiftung die große Erfahrungswerte im Bereich der Gewaltprävention besitzt.

Kommunale Potentiale nutzen!

„Man muss an die Zukunft glauben, an eine bessere Zukunft. Die Welt will Frieden.“

Erich Maria Remarque

Einfluss nehmen! Eine wichtige Maxime der 1982 gegründeten „Mayors for Peace“. Die Überlegungen, die zur Gründung der Vereinigung führten, waren prägnant. Da die Bürgermeister verantwortlich für die Sicherheit und das Leben ihrer Bürger sind, gilt es für sie auch in der Friedensthematik klare Positionen zu beziehen. Mit ihrer aktuellen Kampagne „Vision campaign 2020“ treten die Bürgermeister für die Abschaffung aller Atomwaffen ein. Im Leitbild der internationalen Vereinigung wird auf die Vernetzung zwischen atomarer Rüstung, Hunger, Armut, Flüchtlingsproblematik, Menschenrechten und Umweltzerstörung hingewiesen. Die 3.147 Bürgermeister aus 134 Ländern (Stand 1. Oktober 2009) sehen also ebenfalls den Zusammenhang der Friedensbemühungen mit den schon in dieser Serie beschriebenen Millenniumszielen.

Es ist absolut begrüßenswert, dass es in Luxemburg zur Zeit 56 Bürgermeister gibt, die Mitglieder der „Mayors for Peace“ (www.mayorsforpeace.org) sind. In einer strukturierten Koordination der einheimischen Mitgliedskommunen liegt ein ungeahntes Potential. Man stelle sich beispielweise vor, alle 56 Gemeinden würden jährlich anlässlich des Weltfriedenstages am 21. September gemeinsam ein Zeichen setzen und sich öffentlich als Städte und Kommunen des Friedens darstellen.

Von Kid’s Guernica und einem Peace-Trail.

Peter van den Dungen, Begründer und Koordinator des „International Network of Museums for Peace“ plädiert für innovative Ideen in „Friedensstädten“. Hierzu gibt es vereinzelt Beispiele, die mit etwas Phantasie so oder ähnlich umgesetzt werden könnten.

Die deutsche Stadt Osnabrück fühlt sich als Ort des Westfälischen Friedensabschlusses von 1648 dem Friedensgedanken und der Friedenssicherung verpflichtet. Besonders interessant ist, dass Osnabrück die Gegenwart und die Zukunft mit der Vergangenheit verbindet. Die Geschichte wird als Auftrag gesehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs in der Kommune sehr schnell die Erkenntnis, dass nur ein Geist der Toleranz und Humanität Rassismus und Rassenwahn in Zukunft verhindern kann. An dieser Überzeugung orientiert sich bis heute die Friedensarbeit. Osnabrück zeigt ganz konkret, wie die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte in Form der Erstellung eines „kollektiven Gedächtnisses“ einen wesentlichen Teil zur Friedenserziehung beitragen kann. Schüler des Gymnasiums in Lohbrügge beurteilten ihre Erfahrung mit einem „kollektiven Gedächtnis“ folgendermaßen: „Das Projekt ist ein Zeichen für den Generationendialog. Jung und Alt gemeinsam gegen das Vergessen und für das Leben – das Vergangene wird archiviert, weil es unsere Gegenwart und unsere Zukunft mit bestimmt. Und weil wir daraus lernen können. Nicht nur für unser Leben, sondern auch über das Leben Anderer.“

Die französische Kommune Aubagne in der Provence, legt in ihrer Friedensarbeit besonderen Wert auf die Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen. Mit einer Ausstellung der internationalen Vereinigung „Kid’s Guernica“ gelang es der Stadt Aubagne ihre Bürger für Frieden und Abrüstung zu mobilisieren. Kinder und Jugendliche der französischen Kommune haben hierfür Bilder zum Thema Frieden gemalt und ausgestellt. Die Bilder haben jeweils die Größe von Pablo Picasso’s Meisterwerk „Guernica“, das die Schrecken des 1937 erfolgten Bombenangriffs auf das baskische Städtchen während des spanischen Bürgerkrieges darstellt.

Im nordenglischen Bradford hat sich das Departement für Friedensstudien an der dortigen Universität zu einer der bekanntesten Institutionen dieser Art entwickelt. Die Hochschule gab den eigentlichen Anstoß, dass sich Bradford zur Stadt des Friedens erklärte und 1997 beschloss, diese Entscheidung in einem Buch „City of Peace: Bradford’s Story“ zu dokumentieren. Die mannigfaltigen Dimensionen des Themas Frieden, historische und aktuelle, lokale, nationale und internationale Zusammenhänge wurden exemplarisch dokumentiert. Neun Jahre später stellten Kommune und Bürger in einem handlichen Büchlein den „Bradford Peace Trail: A walk around Bradford, City of Peace“ vor. In diesem Touristenführer werden Orte und Plätze der Stadt beschrieben und dargestellt, die speziell mit Frieden und Sozialreformen zu verbinden sind. Die Verantwortlichen wollten nicht nur den Besuchern die Friedensthematik näherbringen, sie wollten auch den Bürgern Bradfords ihre Heimatstadt einmal anders vorstellen.

Vom „Anderssein“, tausend Tönen und einem Friedensetat.

Das österreichische Linz ist nicht nur Kulturhauptstadt 2009, die Stadt definiert sich mit Engagement seit 1986 als „Friedensstadt“. Solidarität mit Menschen in Konfliktregionen, Gerechtigkeit und Menschenrechte sowie ökologische Nachhaltigkeit sind Werte, welche die „Friedensstadt“ Linz konsequent fördert. Dialogbereitschaft und Toleranz untereinander sollen dabei als selbstverständliche Umgangsformen gelten. Ein wertschätzender Umgang mit Fremden und eine konstruktive Konfliktkultur sind für die Linzer Verantwortlichen prioritär.

Alle Fraktionen im Gemeinderat befürworten die Friedensinitiativen ihrer Stadt, der Bürgermeister selbst übernimmt Verantwortung; die Verwaltung wurde strukturell in die Friedensarbeit eingebunden; Kulturinitiativen und –einrichtungen werden konsequent unterstützt, Vereine und Einrichtungen wie Kirche, Schule oder sozialer Dienste werden sensibilisiert. Es entsteht eine Offenheit und Dynamik, die dem Ganzen zu Gute kommt.

Die Stadt Augsburg ist historisch geprägt durch den „Augsburger Religionsfrieden“. Im Bewusstsein dieser Tatsache versteht sich Augsburg als Friedensstadt. Ein Friedenspreis, die aktive Beteiligung der lokalen Universität an Projekten wie „Das tägliche Leben in unserer Friedensstadt“, gehören zu festen Bestandteilen der Aktivitäten. Das besondere an Augsburg ist das „Festival der 1000 Töne“. Hier gibt es jährlich anlässlich eines Musikfestivals einen Überblick über die große Vielfalt der Kulturen in Augsburg. Die Friedensstadt dokumentiert damit, dass das Miteinander der Kulturen für Alle bereichernd ist.

Das flämische Ypern in Belgien wurde in brutalen Schlachten während des ersten Weltkrieges völlig zerstört. Mit der Eröffnung des „In Flanders Fields-Museum“ hat sich Ypern und die ganze Region 1998 dazu bekannt, Friedensstadt und Friedensregion zu sein. Eine Reihe von Initiativen war die Folge, wie z.B. die Einrichtung eines kommunalen Friedensamtes oder die Stiftung eines Friedenspreises durch die Stadt. Im jährlichen kommunalen Budget erscheint ein Friedensetat. Dieser Budgetposten dient zur Finanzierung des gestifteten Preises sowie zur materiellen und finanziellen Unterstützung lokaler Initiativen. Weiter sind Projekte wie Kriegserinnerung, internationale Begegnungen mit aus Konfliktgebieten kommenden Jugendlichen oder die kommunale Verwaltungshilfe im Kosovo Schwerpunkte dieses Etats. Dass Ypern schon eine engagierte Friedensstadt ist, zeigt die Tatsache, dass das internationale Sekretariat der „Mayors for Peace 2020“-Kampagne dort seinen Sitz hat.

Mit etwas politischem Willen kann demnach vieles für eine Kultur der Gewaltfreiheit geleistet werden.

In einem letzten Beitrag werden einige konkrete Beispiele in Sachen Gewalt- und Aggressionsprävention vorgestellt. Hier spielen Schule und Jugendarbeit eine besonders wichtige Rolle.

Global denken – Lokal handeln!

„Es ist wichtiger etwas im Kleinen zu tun, als im Großen darüber zu reden.“

Willy Brandt

Vor dem Erdgipfel zur nachhaltigen Entwicklung im Jahre 1992, mussten sich die Kommunen ihre Teilnahme an der Konferenz noch erstreiten. Die Resultate dieser Tagung in Rio de Janeiro, Stichwort Agenda 21 und Bürgerbeteiligung, zeigten aber bereits die Bedeutung der kommunalen Körperschaften im Hinblick auf das angestrebte Ziel einer nachhaltigen Entwicklung für das 21ste Jahrhundert. Bei der Habitat-Erklärung (Entwicklung der menschlichen Siedlungen) im Jahre 1996 wurden die Kommunen seitens den Vereinten Nationen „als engste Partner der nationalen Regierungen“ bezeichnet. Für das Erreichen der Millenniumziele betont der UN-Generalsekretär immer wieder die „Relevanz der kommunalen Ebene“ und das sogenannte „Cardoso-Panel“, eine UN-Kommission eminenter Persönlichkeiten unter Leitung des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Fernando Cardoso, wies 2004 in seinem Bericht „We the Peoples: Civil Society, the United Nations and Global Governance“, auf die Wichtigkeit der kommunalen Ebene hin. Sie fungiert als unerlässliches Bindeglied zwischen den Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Vereinten Nationen die Kommunen als wichtigen Partner zum Erreichen wesentlicher sozialer und gesellschaftspolitischer Ziele ansehen.

Die ehemalige niederländische Ministerin für Internationale Entwicklung Eveline Herfkens ist heute die UN-Sonderbeauftragte für die Millenniums-Entwicklungsziele-Kampagne. Sie plädiert für konkrete kommunale Aktionen.

Eine Kommune hat eine Vorreiterfunktion. Dies bedeutet, sie muss aufklären, sensibilisieren und motivieren. Wie dies geschehen kann, sei an ein paar ganz konkreten Beispielen verdeutlicht.

Von Litfaßsäulen über das weiße Band…

 

  • Zu Beginn muss ein politischer Wille vorhanden sein um die Vernetzung bestehender Zukunftsfragen zu verdeutlichen. Eine Gemeinderats-Resolution wäre hierzu ein erster wichtiger Schritt. So erhielten „Eine-Welt“ oder entwicklungspolitische Themen Einzug in die kommunalpolitischen Diskussionen. Ein starkes Signal an die Bevölkerung.
  • Für die 8 Millenniumsziele der UN muss geworben werben. Eine tolle Initiative entstand in der italienischen Stadt Perugia. Auf 8 Toren, bzw. Litfaßsäulen wurden die 8 Millenniumsziele dargestellt, die jeweilige Ausgangslage, was die Weltgemeinschaft und der Einzelne tun können, um das jeweilige Ziel zu erreichen. Ähnliche Säulen kann man sich gut in anderen Städten oder Gemeinden vorstellen. Sie können dann auch ganz gezielt für schulische Veranstaltungszwecke eingesetzt werden.
  • Eine wichtige kommunale Aufgabe ist der Wasserversorgung. Daher liegt es auf der Hand, hier für ein vernetztes Denken zu sensibilisieren. Es gilt aufzuklären, dass etwa 1/3 der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Eines der Millenniumsziele will erreichen, dass bis 2015 die Hälfte der betroffenen Menschen endlich Zugang zu sauberem Wasser erlangen. Durch unser Konsumverhalten haben wir einen direkten Einfluss auf das Erreichen dieses Zieles. Für alles, was wir konsumieren wird Wasser verbraucht, dies passiert oft in Länder und Regionen, die schon von Trockenheit betroffen sind. Wenn wir wissen, dass 16.000L Wasser für ein Kilogramm Rindfleisch benötigt werden, gar 20.000L für ein Kilogramm Kaffee, 10L für ein DIN A4-Blatt oder 2.000L für ein Baumwoll-Shirt, so wird ersichtlich, dass ein bewussteres Konsumverhalten unsererseits vieles bewirken kann. „Global denken – Lokal handeln“ wird hier sehr konkret.
  • Am 17ten Oktober findet der jährliche „Internationale Tag für die Beseitigung der Armut“ (www.bandeaublanc.lu) statt. Das weiße Band ist zu einem weltweiten Symbol des Kampfes gegen die Armut geworden. Das weiße Band an einem Rathaus oder einer lokalen Sehenswürdigkeit ist eine einfache und effektive Möglichkeit, aufmerksam zu machen auf den Kampf gegen die Armut. Zudem kann der Gemeinderat die internationale Kampagne (www.oct17.org) mit der Unterzeichnung des Appels „Mit vereinten Kräften für eine Welt ohne Armut und Ausgrenzung“ unterstützen.

…zu UNESCO-Schulen und Partnerschaften.

 

  • In vielen Kommunen sind lokale NGO’s in der Entwicklungszusammenarbeit aktiv. Oft arbeitet jede Organisation für sich, ohne Koordination mit den anderen. Hier müssen die Kommunen durch gezielte Unterstützung für ein vernetztes Zusammenarbeiten eintreten. „Betebuerg helleft“ oder Diddeleng helleft“ sind Beispiele. Die Einbindung von aktiven Bürgern erhöht in einer Kommune sehr schnell den Multiplikationseffekt für gemeinsame Ziele.
  • Die Kommunalpolitik hat Einfluss auf die organisatorische und inhaltliche Gestaltung der Schulen, die weit über die vom Ministerium festgelegten Bildungsinhalte hinausgeht. Hier gilt es pädagogische Initiativen wahr zu nehmen. Sich zu den Prinzipien einer UNESCO-Projekt-Schule bekennen, wäre ein erster Schritt. Innerhalb solcher Projekt-Schulen stehen Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz und Toleranz ganz oben auf der pädagogischen Agenda.
  • Neue Städtepartnerschaftsinitiativen sind eine weitere Möglichkeit, kommunalpolitisch für die Millenniumsziele einzutreten. Im Rahmen einer solchen Partnerschaft muss den Bürgern verstärkt vermittelt werden, mit welchen für uns unvorstellbaren Problemen und Herausforderungen Menschen in anderen Teilen der Welt konfrontiert sind. Es muss bei solchen Partnerschaften auch um das kulturelle „Von-Einander-Lernen“ gehen. Als Beispiel sei die Partnerschaft der Gemeinde Roeser mit den Kolla-Indios in Argentinien erwähnt.
  • Aufgrund der wachsenden lokalen Verantwortung haben sich in den letzten Jahren immer mehr Kommunen in globalen Netzwerken organisiert. Ob in dem „International Council for Local Environmental Initiatives (ICLEI)“, dem internationalen Klima-Bündnis oder „Cities Alliance“.

Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik. So gehören die Millenniumsziele auch auf die lokale politische Agenda. Die Kommunalpolitik erreicht Menschen direkter und konkreter, sie kann durch gezieltes politisches Handeln Menschen motivieren, begeistern und bewegen. Die Kommunen sind demnach unerlässliche Partner ihrer jeweiligen Regierungen.

Es wird immer deutlicher, dass unsere Zukunft sehr eng mit der globalen Entwicklung zusammenhängt. In der „Einen Welt“ betreffen unsere Entscheidungen immer auch die Menschen auf anderen Kontinenten. Und die Zukunft dieser Menschen wird wiederum unser Leben stark beeinflussen. Wir entscheiden demnach hier und heute über die Zukunft unserer Kinder.

Es gibt aber noch zusätzliche friedenspolitische Aktivitäten vor Ort. Woran erkennt man eine „Friedenskommune“? Ist uns bewusst, dass wir in Luxemburg ungeahntes Potential haben? Dazu mehr in einem weiteren Beitrag.

Es beginnt in den Köpfen!

„Einer Tradition treu sein, bedeutet, der Flamme treu sein und nicht der Asche.“

Jean Jaurès

Zur Schaffung einer solidarischeren und somit sichereren Welt brauchen wir auch eine neue Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit.

Im November 1998 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Erklärung für „Eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder der Welt“. In dieser Erklärung wurde der Zeitraum von 2001 bis 2010 zur internationalen Dekade für eine Kultur des Friedens ausgerufen.

Im Rahmen dieser UN-Erklärung definierten Friedensnobelpreisträger in einem Appell, was denn eigentlich eine Kultur der Gewalt bedeutet: „Eine Kultur der Gewalt ist auf die Befriedigung der Bedürfnisse einer Minderheit ausgerichtet, während sie die Achtung des Lebens und der Würde einer großen Mehrheit benachteiligt. (…) In einer Kultur der Gewalt werden die Menschenrechte und die demokratischen Spielregeln missachtet, Güter und Ressourcen werden ungleich verteilt, (…) die Umwelt wird zugunsten rascher Profite zerstört. Diese Kultur der Gewalt ist auch die Wurzel der Rüstungsspirale und der kriegerischen Konflikte. Sie ist die Quelle der Gewalt in den Familien, zwischen Rassen und ethnischen Gruppen.“

Auch wenn sich diese UN-Dekade offiziell dem Ende nähert, sollte das Thema zum stärkeren Engagement für Frieden und gegen Gewalt anspornen. Die Argumente der Vereinten Nationen und der Appell der Friedensnobelpreisträger behalten weit über 2010 hinaus ihre Gültigkeit. Die Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit will vermitteln, dass ein Wandel vom Kult des Krieges zu einer Kultur der gewaltfreien Konfliktlösung notwendig und möglich ist. Es gibt durchaus positive Beispiele in der Geschichte. Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Oscar Romero oder Aung San Suu Kyi, das tschechoslowakische Volk 1968 im „Prager Frühling“, die „Nelkenrevolution“ 1974 in Portugal, die „Rosenkranzrevolution“ 1986 auf den Philippinen oder die Geschehnisse 1989 in der Leipziger Nikolaikirche zeigen, dass Konflikte andere Lösungspotentiale bieten als pure Gewalt. Es sind Beispiele einer engagierten Praxis zum Finden einer besseren Zukunft. Diese Beispiele gilt es zu vermitteln, auf diesen Beispielen gilt es aufzubauen.

Manifest 2000 und Friedenspädagogik.

In ihrem Aktionsprogramm für eine Kultur des Friedens postulieren die Vereinten Nationen: „Die Zivilgesellschaft soll auf örtlicher, regionaler und nationaler Ebene einbezogen werden, um das Spektrum der Aktivitäten zugunsten einer Kultur des Friedens zu erweitern.“

Was können wir nun konkret in unserer Gesellschaft für das Erreichen einer Kultur der Gewaltfreiheit tun?

Die UNESCO, die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur der UNO, veröffentlichte in ihrem „Manifest 2000“ sechs Grundsätze, wie man als Bürger in seinem tagtäglichen Umfeld eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit leben kann. Dies ist eigentlich eine spannende Herausforderung. Es gilt, Friedensbemühungen und Gewaltfreiheit nicht nur auf der politischen Metaebene zu thematisieren, sondern im täglichen Leben umzusetzen.

Das Manifest 2000 fordert moralische und ethische Werte ein, die in unserer Konsum- und Spaßgesellschaft rasant verkümmern: Die Anerkennung der Würde eines jeden Menschen ohne Unterschied und Vorurteil; der Verzicht auf jede Form von Gewalt gegen Schwächere und Wehrlose; die Bereitschaft, Zeit zu teilen mit anderen, damit Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung ein Ende finden; das Einstehen für freie Meinungsäußerung und kulturelle Vielfalt, für eine nachhaltige Entwicklung und ein Leben im Einklang mit der Natur; das Verteidigen demokratischer Werte und das Schaffen neuer Formen der Solidarität. Sich für diese Ziele konsequent und alltäglich einsetzen fordert schon persönliches Rückgrat.

Eine Schlüsselrolle kommt der Friedenspädagogik zu. Der scheidende Generaldirektor der UNESCO Koichiro Matsuura beschreibt mit folgenden Worten die Bedeutung der Erziehung für das Erreichen einer friedensfähigen Gesellschaft: “Education ist fundamental to peace-building. Education for peace, human rights and democracy is inseparable from a style of teaching that impacts to the young, and not so young, attitudes of dialogue and non-violence – in others words, the values of tolerance, openness to others and sharing.” Nicht von ungefähr fordern die Vereinten Nationen eine Neubelebung der Friedenspädagogik ein.

Für Günther Gugel und Uli Jäger vom Institut für Friedenspädagogik in Tübingen gibt es in der Friedenspädagogik unterschiedliche Herausforderungen und Problemstellungen, es gibt verschiedene gesellschaftliche Voraussetzungen und es gibt diverse politische Rahmenbedingungen. Aber Friedenspädagogik hat überall einen unverwechselbaren Charakter im Denken und Handeln: Sie spielt eine unverzichtbare Rolle beim konstruktiven Umgang mit Konflikten und fördert die Befähigung zur gewaltfreien Konfliktaustragung.

Hier stehen unsere Schulen in der Verantwortung. Themen wie z.B. die Auseinandersetzung mit Gewalt, das Befähigen zu gewaltfreiem Handeln, das Überwinden von Vorurteilen, die Vermittlung von Demokratiefähigkeit, die Berücksichtigung des Gender-Aspektes (Geschlechterrolle) und die Auseinandersetzung mit den Medien müssen im schulischen Alltag behandelt, d.h. gelebt und gelehrt werden.

Das Aggressionspotential steigt.

 

Machen wir uns auch in unseren Breitengraden nichts vor. In unserer Gesellschaft steigt die Gewalt- und Aggressionsbereitschaft. Besonders Kinder und Jugendliche werden in vielfältiger Form mit Gewalt konfrontiert. Die Spirale hin zu gewalttätigen Reaktionen ist vorgezeichnet.

Für die deutsche Bundesgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz zeigen sozialwissenschaftliche Untersuchungen, dass Gewalt und die Angst vor Gewalt für viele Kinder und Jugendliche ein wichtiges und belastendes Thema ist. Eltern und Pädagogen sind schockiert und hilflos angesichts verbaler Gewalt und Brutalität, die sie bei Kindern und Jugendlichen erleben. Kinder und Jugendliche fühlen sich vielfach von Erwachsenen allein gelassen mit ihren Ängsten und Erfahrungen und beklagen, dass Erwachsene ihre Erfahrungen ignorieren oder in Gewaltsituationen wegsehen und nicht schützend eingreifen. Die Medien berichten teilweise dramatisierend über konkrete Einzelereignisse und tragen auf ihre Weise dazu bei, dass Gewalt ein Dauerbrenner-Thema bleibt.

Es wäre deshalb mehr als angebracht, die bestehenden und neuen friedenspädagogischen Initiativen an unseren Schulen organisatorisch und finanziell zu stärken. Als inhaltliche Grundlage hierfür könnte die im Juni 2007 veröffentlichte Publikation „Éducation à la paix“ des Bildungsministeriums dienen. Zugleich gilt es, eine Offensive für eine gewaltfreiere Gesellschaft im Sinne des Manifestes 2000 der UNESCO in die Wege zu leiten.

Gandhi, Luther King, Oscar Romero oder San Suu Kyi zeigen, dass es gewaltfreie Lösungsmöglichkeiten gibt. Dieser „Tradition treu sein“, wie es der Politiker, Philosoph und Pazifist Jean Jaurès formuliert hat, ist nicht nur eine Herausforderung für den einzelnen Bürger, staatliche Instanzen oder Schulen. Es ist auch eine Aufgabe der Kommunen. Wie diese im Sinne einer gewaltfreieren Gesellschaft aktiv werden können, wird in weiteren Beiträgen dargelegt.

Unser Fußabdruck ist zu groß!

„Der heutige Lebensstandard kann nur aufrecht erhalten werden, solange ihn die meisten nicht haben.“

Franz Nuscheler

Mit einer Computersimulation schreckte das Massachusetts Institute of Technologie (MIT) im Jahre 1972 die Öffentlichkeit auf. Betrachte man die Entwicklungen in den Bereichen Bevölkerungszunahme, Ressourcenverbrauch und Ökologie, so müsse energisch gegen den allgemeinen Wachstumstrend gegengesteuert werden. „Die Grenzen des Wachstums“, der Bericht an den Club of Rome, wies schonungslos auf die Endlichkeit unserer Ressourcen hin. Unsere Wachstumseurophie habe auf Dauer keinen Bestand. Wirtschaftskreise, politische Entscheidungsträger und engagierte Teile der Zivilgesellschaft führten eine äußerst kontroverse Debatte über die Inhalte dieses Berichtes.

Wir wissen heute, dass das Team um Jay Forrester, Donella und Dennis Meadows mit ihren Kernaussagen vor über 30 Jahren richtig lagen. Unser Traum von der Unendlichkeit der Ressourcen und somit vom unendlichen Wachstum ist ausgeträumt. In einer zweiten Studie im Jahre 1992 kommen die Fachleute zum Schluss, dass nach der Erfindung des Ackerbaus und nach der industriellen Revolution, wir zu einer notwendigen dritten Umwälzung aufgerufen sind: Zur ökologischen Erneuerung. Der dritte Bericht „Grenzen des Wachstums – Das 30 Jahre Update“ aus dem Jahre 2004, avancierte nach seiner Veröffentlichung zu einem Standardwerk für jede Schulbibliothek und für jeden engagierten Menschen. Die aktuellen Daten des Berichts schlussfolgern, dass wir einen Kurswechsel dringend brauchen, eine Wende zur Nachhaltigkeit mit drastischen materiellen und strukturellen Veränderungen.

Alles nur Panikmache und eigentlich kein Problem? Oder beginnen immer mehr Menschen zu begreifen, dass es so nicht weitergeht, dass unsere Spaß- und Konsumgesellschaft keine Zukunft hat? Leben wir nicht doch so als hätten wir keine Verantwortung unseren Kindern gegenüber? Die Berliner Band „Culcha Candela“ bringt es provokatorisch in ihrem neuen Song „Schöne, neue Welt“ auf den Punkt: „Herzlich Willkomm‘ in unserer schönen, neuen Welt, was morgen wird ist scheiß egal – wir feiern bis alles zerfällt.“

Bad news oder Verantwortung für die Zukunft?

Das „Global Footprint Network“ hat mit seinem ökologischen Fußabdruck eine wissenschaftliche Methode entwickelt, um den Natur- und Ressourcenverbrauch zu berechnen, der notwendig ist, um den gegenwärtigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten und die daraus entstehenden Abfallprodukte zu absorbieren.

Ein Beispiel verdeutlicht diesen Fußabdruck: Weltweit gibt es runde 11 Milliarden Hektar biologisch produktive Fläche. So kommen nach dem „Footprint“-Modell auf jeden Menschen etwa 1,7 Hektar. Weltweit beanspruchen wir jedoch heute durchschnittlich 2,2 Hektar pro Kopf. Das bedeutet konkret, wir verbrauchen weltweit 20% mehr Ressourcen als die Natur regenerieren kann. Wir, das sind nicht die Kenianer oder Inder, das ist unsere übersättigte Konsumgesellschaft, denn innerhalb der EU sind es 6 Hektar pro Kopf, in den USA gar 9,5.

Gandhi gab einem englischen Journalisten folgende Antwort auf die Frage, wie lange das 1947 gerade erst unabhängig gewordene Indien wohl brauchen würde, um sein ehemaliges „Mutterland“ Großbritannien wirtschaftlich einzuholen: „Die kleine Insel Großbritannien musste die halbe Welt erobern und ausbeuten, um zu ihrem Wohlstand zu gelangen. Wieviele Planeten bräuchte es da für Indien?“ Etwa 60 Jahre später kennen wir die Antwort auf Gandhi’s Gegenfrage. Wenn alle auf der Welt so leben würden wie wir in den Industrieländern, bräuchten wir mindestens 3 weitere Erdkugeln. Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen in unserer Gesellschaft den ökologischen Fußabdruck um etwa 2/3 verkleinern. Wenn wir dies nicht konsequent angehen, werden kriegerische Auseinandersetzungen um natürliche Ressourcen bald auf der Tagesordnung stehen.

Das renommierte World Watch Institute aus Washington analysierte in seinem Jahresbericht 2004 die Frage „Was ist ein gutes Leben?“. Im Kern geht es in dem Bericht darum, dass ungezügelter Konsum keineswegs glücklich macht, im Gegenteil: “Die eindimensionale Ausrichtung auf den Konsum unterminiert nicht nur die Lebensqualität derjenigen, die der Konsumgesellschaft angehören, sie wird auch die Möglichkeiten der außerhalb der Konsumentengemeinschaft Lebenden verringern, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.“ Das Institut zeigt zudem Wege auf, wie Konsum eingeschränkt und in andere Bahnen gelenkt werden kann, wie somit menschliches Wohlergehen und Nachhaltigkeit verbessert werden können.

Hans Glauber, Initiator der „Toblacher Gespräche“ entwarf die programmatische Formel „langsamer, weniger, besser, schöner.“ Kurz vor seinem Tode schrieb er folgenden Einführungstext zu der anstehenden Gesprächsrunde. „Wir stehen am Übergang von einer Epoche der Maßlosigkeit zu einer Epoche der neuer Bescheidenheit. Öl und Gas, die Treibstoffe des Industriezeitalters, werden knapp und deshalb superteuer. Es sieht so aus, als ob die glorreichen Zeiten des Wachstums hinter uns liegen. Aber auch das solare Zeitalter verträgt sich nicht mit Maßlosigkeit. Es wird erst mit einem Zivilisationswandel gelingen, der weniger Naturverbrauch, langsamere Geschwindigkeiten, ausgewählte Produkte und bescheidenere Profite für gelungen hält.“

Verantwortung für eine gute Zukunft übernehmen.

Politik und Wirtschaft sind gefordert. Aber auch der einzelne Bürger steht in der Verantwortung. Durch kritischen Konsum kann er sein Scherflein beitragen. Experten sind sich einig, dass beispielsweise folgende Änderungen im Verbraucherverhalten viel bewegen würden: Die gründliche Wärmedämmung der Wohnung, die konsequente Anwendung von erneuerbaren Energien, das Umsteigen auf ein Drei-Liter-Auto, die Nutzung des öffentlichen Transports, der Aufbau von Carsharing-Modellen, die konsequente Umstellung des Speiseplans auf regionale, biologische und fair gehandelte Lebensmittel, usw. Kritischer Konsum fängt ganz banal bei der Frage an, ob man das auch wirklich braucht oder gar will, was man da gerade „in den Einkaufskorb legt“.

Auf politischen Plan gilt es eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft zu gestalten. Ernst-Ulrich von Weizäcker plädiert seit langem dafür, dass die Preise nicht nur die ökonomische, sondern auch die ökologische Komponente beinhalten müssen. Darum gehört eine ökologische Steuerreform auf die oberste politische Agenda. Zudem muss die Politik klare ethische Regeln für die Finanzmärkte bestimmen. Diese müssen sich an den langfristigen Interessen der Menschen, statt an kurzfristigen Interessen einiger weniger Spekulanten orientieren. So ist die Einführung einer „Tobin-Tax“ anzustreben. Mit dem Modell des Nobelpreisträgers James Tobin würden spekulative Devisentransaktionen endlich besteuert. Rezente Schätzungen ergaben, dass nur 1,5 bis 5% des Transaktionsvolumens mit realwirtschaftlichen Vorgängen zu tun haben. Alles andere ist pure Spekulation!

Die Wirtschaft ist ebenfalls gefordert: Wir brauchen eine Effizienzrevolution. Wir brauchen eine Produktion, die mit weniger Materialeinsatz hochwertige Produkte herstellt. Der europäische Topmanager Claude Fussler liegt richtig mit seiner Feststellung, dass die Wirtschaft nur dann langfristig Zukunftschancen hat, wenn sie ökoeffizient, innovativ und sozial ist, denn „heute gibt es sehr viel Armut, und wenn noch zwei oder drei Milliarden Menschen dazu kommen, und wenn man sich eine friedliche Welt wünscht, dann müssen wir eine Lösung finden, dass wir unser Wachstum und unsere Lebensqualität mit viel weniger Auswirkungen auf die Umwelt organisieren.“

Letztendlich kommt es auf ein Zusammenspiel all dieser Faktoren an, auf den Willen, etwas anderes durchzusetzen, auf den Glauben, dass etwas anderes möglich ist. Unser Handeln hat Auswirkungen auf andere Teile der Welt und auf das Leben zukünftiger Generationen. Welche Auswirkungen das sind, darüber entscheiden wir hier und heute.

Eine solidarischere Weltgemeinschaft ist der einzige Garant für eine sichere Zukunft. In diesem Sinne bedarf es auch einer neuen Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit. Ansätze hierzu in einem weiteren Beitrag.