„Niemand außer Noam Chomsky verbindet so leidenschaftlich die beiden vom Menschen verursachten Bedrohungen mit unserer Existenz – den katastrophalen Klimawandel und die nuklearen Weltuntergangsmaschinen.“
Daniel Ellsberg, Whistleblower der Pentagon-Papiere.
In seinem rezenten Buch „Rebellion oder Untergang!“ warnt Noam Chomsky einer der weltweit bekanntesten linken Intellektuellen und seit den 1960er Jahren einer der prominentesten Kritiker der US-amerikanischen Politik, eindrücklich wie nie zuvor, über die existenziellen Bedrohungen durch die Atomwaffen und den Klimawandel.
Seit einem Jahr überdeckt die aktuelle COVID-19-Pandemie alle Diskussionen über andere existentielle Gefahren, denen die Menschheit in eigentlich gefährlicherem Ausmaß ausgesetzt ist.
Wir erinnern uns an die Demonstrationen der Fridays-for-Future-Bewegung, welche viele Menschen und die Medien zum Thema Klimawandel wachrüttelten. Die Politik blieb nicht unbeeindruckt von dieser massiven Welle der Klimaaktivisten. Ihre Botschaft an alle war und ist einfach und klar: Hört beim Klimawandel auf die Wissenschaft. Fakt ist, falls wir die Ziele der Pariser Klimaschutzkonferenz von 2015 nicht einhalten, also den Anstieg der Erderwärmung deutlich unter 2°C halten, sowie weitere Anstrengungen unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen, wir in etwa 3 bis 4 Generationen, auf eine lebensbedrohende Klimakatastrophe hinsteuern.
Eine weitere direkte Bedrohung im hier und heute und in seiner Zerstörungswirkung viel gravierender, weil die ganze Menschheit ausgerottet werden kann, ist die Bedrohung durch Atomwaffen. Ein Lichtblick zur Beseitigung dieser monströsen Waffen, die jemals von Menschen entwickelt wurden, ist der seitens der Vereinten Nationen im Januar in Kraft getretene Atomwaffenverbotsvertrag. Zudem scheinen mit der neuen amerikanischen Administration die Zeichen bei den Atomwaffen wieder auf Dialog mit dem größten Kontrahenten Russland zu stehen. Es bleibt abzuwarten, wie dieser Dialog sich in konkreten Abrüstungsschritten beweist. Denn allenthalben Modernisieren die Atommächte ihr mörderisches Potential, schließen in ihren Strategien gar einen Ersteinsatz nicht aus.
Wie verrückt die Entwicklungen in der Modernisierung der Atomraketen sind, zeigt ein Fallbeispiel in den USA. Es geht um die Modernisierung der amerikanischen landgestützten, interkontinentalen, ballistischen Atomraketen. Unbemerkt von den Massenmedien, veröffentlichte die amerikanische Journalistin Elisabeth Eaves vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“ eine Analyse über eine neue Massenvernichtungswaffe, einer Atomrakete von der Länge einer Bowlingbahn. Sie wird etwa 6.000 Meilen weit fliegen können und einen Sprengkopf tragen, der mehr als 20-mal stärker ist als die Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde. Sie wird in der Lage sein, Hunderttausende von Menschen mit einem einzigen Schuss zu töten. Die US-Luftwaffe plant, mehr als 600 Stück zu bestellen. Eaves recherchierte, dass die US-Air-Force im September 2019 dem Rüstungsunternehmen Northrop Grumman einen ersten Auftrag in Höhe von 13,3 Milliarden Dollar erteilte, um mit der Entwicklung und Herstellung der Rakete zu beginnen. Dies ist nur ein Bruchteil der Gesamtrechnung. Basierend auf einem Pentagon-Bericht, der laut der Journalistin von der „Arms Control Association“ und „Bloomberg News“ zitiert wird, wird die Regierung etwa 100 Milliarden Dollar für den Bau der Waffe ausgeben, die um 2029 einsatzbereit sein wird.
Von einer Banane, Alligatoren und der atomaren Abschreckung.
Bei allen Diskussionen um Atomwaffen, geht es immer um die sogenannte atomare Abschreckung. Laut dem aktuellen „Nuclear Notebook“, enthält das US-Atomwaffenarsenal aktuell 5.800 Atomsprengköpfe. Davon sind 1.750 „aktiv“, also einsatzbereit stationiert. 1.300 auf interkontinentalen ballistischen Raketen und 300 auf strategischen Bomberbasen in den Vereinigten Staaten, sowie weitere 150 taktische Atombomben in Europa. 2.050 Sprengköpfe werden als „Reserve“ gelagert und können, wenn nötig, in das „aktive“ Arsenal eingebracht werden. 2.000 Sprengköpfe sind momentan für die Abrüstung vorgesehen.
Nach der Theorie der Abschreckung sendet Amerikas einsatzbereites Atomwaffenarsenal, das aus derzeit 3.800 Sprengköpfen besteht, eine Botschaft an andere atomar bewaffnete Länder. Es soll dem Feind vermitteln, dass ein Vergeltungsschlag der USA so schrecklich wäre, dass der Feind besser hätte erst gar nicht anzugreifen. Heutzutage halten viele diese Abschreckung für einen Erfolg und verweisen auf die Tatsache, dass kein Land die Vereinigten Staaten jemals mit Atomwaffen angegriffen hat. Diese Logik führen alle 9 atomar bewaffneten Staaten an, um ihre Atomwaffen zu rechtfertigen.
Hält dieses ewige Rechtfertigungsargument noch Stand? Elisabeth Eaves zieht einen ungewöhnlichen, aber interessanten Vergleich aus der kultigen amerikanischen Fernsehserie „Sesame-Street“. Für die Journalistin beruhe das Abschreckungsargument auf der gleichen fehlerhaften Logik, die Ernie benutzte, als er Bert erzählte, er habe eine Banane im Ohr, um die Alligatoren fernzuhalten: Die Abwesenheit von Alligatoren beweist nicht, dass die Banane funktioniert hat. Genauso beweist die Abwesenheit eines nuklearen Angriffs auf die Vereinigten Staaten nicht, dass 3.800 einsatzbereite Sprengköpfe für die Abschreckung unerlässlich sind.
Robert Latiff ist ein ehemaliger General-Major der amerikanischen Luftwaffe. In seiner militärischen Karriere kommandierte er eine Einheit, die über den Zugriff auf Kurzstreckenraketen in Deutschland verfügte. Aufgrund der horrenden Anzahl von Atomwaffen mit einer Sprengkraft, die die Menschheit mehrfach auslöschen könnte, zweifelt er, ob es überhaupt Sinn ergibt, über tausende solcher Waffen zu verfügen: „“Wenn man erst einmal ein paar Atombomben auf eine Stadt abgeworfen hat, kann man mit ein paar weiteren nur noch die Trümmer zum Wackeln bringen“.
Heute besitzen die Atomwaffenstaaten ca. 13.400 Atomwaffen. 93% der Atomwaffen gehören den USA und Russland. Diese beiden Atommächte stehen besonders in der Verantwortung anlässlich der kommenden atomaren Abrüstungsverhandlungen.
Existentielle Bedrohungen der Menschheit, lassen sich mit Atombomben nicht lösen. Milliarden verschlingende atomare Modernisierungsprogramme blockieren dringend benötigte Gelder zum Wohle der Menschheit. Atombomben lösen kein einziges der dringenden Probleme wie Klimawandel, Artensterben, Biodiversitätsverlust, soziale Ungerechtigkeit, rasant wachsende Weltbevölkerung, Mangel an Bildung oder dringend benötigte Investitionen in das weltweite Gesundheitssystem.
Noam Chomsky ruft mit seiner rezenten Publikation zum globalen Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation auf. Recht hat er. Verstärken wir den Ungehorsam mit der radikalen Forderung der Abschaffung aller „nuklearen Weltuntergangsmaschinen“.