Atomwaffenverbotsvertrag: Ein historischer Meilenstein!

„Wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis wir unser Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen erreichen. Es ist unwahrscheinlich, dass ich diesen Tag erleben werde. Es ist unwahrscheinlich, dass irgendein Überlebender der Atombombe mit seinen eigenen lebendigen Erinnerungen diesen Tag erleben wird, aber mit dem Atomwaffenverbotsvertrag können wir sicher sein, dass dieser schöne Tag anbrechen wird.“

Setsuko Thurlow – Atombombenüberlebende aus Hiroshima.

Der Atomwaffen-Verbotsvertrag der Vereinten Nationen tritt am 22. Januar 2021 in Kraft und wird somit geltendes Völkerrecht. Er verbietet den Einsatz, die Entwicklung, Produktion und Lagerung von Atomwaffen sowie die Drohung mit deren Einsatz. Dies ist ein historischer Meilenstein für das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen.

Angesichts der Corona-Pandemie, des Klimawandels, des Artensterbens oder der Flüchtlingskrise wird die Gefahr durch Atombomben verdrängt. Dies ist ein gefährlicher Trugschluss. Nicht umsonst haben Atomwissenschaftler in der Zeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“ die symbolische Uhr, die Doomsday-Clock, aktuell auf 100 Sekunden vor Mitternacht eingestellt. Die Wissenschaftler wollen verdeutlichen, wie groß das Risiko einer globalen Atom- und/oder Umweltkatastrophe ist. Drei Schwerpunkte sind in den Analysen der Wissenschaftler von Bedeutung: Atomwaffen, Klima und disruptive Technologien, wie Cybersabotage, synthetische Biologie, Nutzung und Manipulation von Informationen und künstliche Intelligenz.

Die Diskussionen um ein allgemeines Verbot von Atomwaffen sind nicht neu, es fehlte aber bis dato eine völkerrechtliche Grundlage. Schon 1996 hatte das höchste Rechtsorgan der Welt, der Internationale Gerichtshof in Den Haag, ein Rechtsgutachten über die Androhung und den Einsatz von Atomwaffen verkündet. Dieses völkerrechtliche Gutachten (advisory opinion) wurde auf Anforderung der UN-Generalversammlung erstellt. In diesem Rechtsgutachten wurde formuliert, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen verboten sind, also gegen das Völkerrecht verstoßen. Der Gerichtshof ließ nur eine Ausnahme zu: Den extremen Fall der Selbstverteidigung eines Staates, wenn das Überleben dieses Staates gefährdet ist. Die Richter bemängelten in ihrem Gutachten, dass noch kein ausdrückliches Verbot von Atomwaffen bestünde. Der Verbotsvertrag schließt nun diese juristische Lücke.

Gebt doch die sture, ablehnende Haltung auf.

Kaum überraschend, dass Staaten, deren Sicherheitspolitik auf Atomwaffen beruht, diesen Vertrag ablehnen. Schon 2016 haben die USA alle NATO-Staaten zu einem Boykott an den Vorbereitungsarbeiten dieses Verbotsvertrages aufgerufen. Vor einem knappen Monat bekräftige die NATO in einer Erklärung nochmals ihre ablehnende Haltung. Die NATO will ein Atombündnis bleiben, solang es diese Waffen gibt, so der Tenor der Erklärung. Wie immer schiebt man gebetsmühlenartig ein, dass man als Militärbündnis das Endziel einer Welt ohne Atomwaffen weiter unterstütze. Die Militärallianz so das Hauptargument, sei gegen den Verbotsvertrag, „da er das zunehmend schwierige internationale Sicherheitsumfeld nicht widerspiegelt und im Widerspruch zur bestehenden Nichtverbreitungs- und Abrüstungsarchitektur steht“. Für die Nato bleibe der geltende Atomwaffen-Sperrvertrag „der einzig glaubwürdige Weg zu atomarer Abrüstung“. Dem Verbotsvertrag fehle es dagegen „an rigorosen oder klaren Mechanismen“ zur Überprüfung der Einhaltung des Verzichts auf Atomwaffen. Zudem sei er „von keinem Staat unterzeichnet (worden), der Atomwaffen besitzt“. Es bestehe damit „die Gefahr, dass er die globale Nichtverbreitungs- und Abrüstungsarchitektur untergräbt“.
Es gehört schon eine gehörige Portion Unverfrorenheit dazu, mit solch plumpen und falschen Behaupten den Verbotsvertrag madig zu machen.

Die Analysen der beiden Vertragstexte sind glasklar: Der Verbotsvertrag steht nicht im Widerspruch zum Sperrvertrag. Der Verbotsvertrag knüpft explizit an das bestehende Verifikationsregime des Sperrvertrages an und geht in Bezug auf die damit einhergehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, teilweise sogar noch darüber hinaus.

Appelle für eine atomwaffenfreie Welt ohne konkrete Schritte haben die Abrüstung bisher nicht vorangebracht, im Gegenteil. Sämtliche Atomwaffenstaaten fordern immer wieder das Gleiche: Eine atomwaffenfreie Welt, sobald sich alle darauf geeinigt haben. Das ist nichts anderes als ein Spielen auf Zeit, um am Status Quo festzuhalten. Die mehr als schleppenden Verhandlungen im Rahmen des Sperrvertrages sind bester Beweis. Die Kritik an den Atommächten ist mehr als berechtigt. Diese kommen ihrer Verpflichtung zur Abrüstung nicht konsequent nach. Das Gegenteil ist der Fall. Einige Atommächte modernisieren ihre Arsenale und entwickeln neue Waffen und Trägersysteme, statt abzurüsten. Zudem sehen strategische Einsatzpläne verschiedener Atommächte, den Ersteinsatz von Atomwaffen explizit vor.

Sieht man die rezente Geschichte einiger UN-Abkommen, wie das Verbot von Landminen (1999) oder das Verbot von Streumunition (2010), zeigt sich, dass die Sichtweise jener Staaten, die solche Abkommen nicht unterzeichneten, sich trotzdem ändert, wenn ihre bisherige Haltung völkerrechtlich geächtet wird. So haben die USA ihre Position in Bezug auf Landminen und Streumunition geändert, obwohl sie nicht beigetreten sind. Auch hier gab es anfangs allerdings entschiedenen Widerstand, insbesondere von Seiten der NATO.

Ehemalige NATO-Generalsekretäre plädieren für Beitritt.

Auch wenn dem Verbotsvertrag bisher keine NATO-Staaten beigetreten sind, ist dieser so formuliert, dass dies möglich ist. Zwei ehemalige NATO-Generalsekretäre haben dies unterstrichen, als sie im Verbund mit weiteren 54 ehemaligen Spitzenpolitiker:innen im September 2020, alle NATO-Staaten zum Beitritt zum Verbotsvertrag aufgerufen haben. Javier Solana und Willy Claes bezeichnen den Verbotsvertrag als einen „Hoffnungsschimmer in einer dunklen Zeit“.

Der Verbotsvertrag wurde im Juli 2017 von 122 Staaten in den Vereinten Nationen beschlossen und zur Ratifikation freigegeben. Zum ersten Mal wurde damit demokratisch im Mehrheitsprinzip über Atomwaffen entschieden, ohne dass die Atommächte ein Veto einlegen konnten. Das ist echter Multilateralismus, im Gegensatz zu bilateralen Abrüstungsverträgen aus denen Staaten, wie in der rezenten Vergangenheit, auch wieder austreten können.

In Europa ist der Verbotsvertrag kein Sonderweg. Österreich, Irland und Malta haben ihn ratifiziert. Und auch innerhalb der NATO gibt es Bewegung. Belgien hat im neuen Koalitionsvertrag festgehalten, dass der Verbotsvertrag genutzt werden soll, um die Abrüstung voranzubringen. In den Niederlanden findet eine Debatte über die Zukunft der dort stationierten Atomwaffen statt und in Spanien steht der Beitritt zum Verbotsvertrag in der Regierungsvereinbarung von 2018.

Der Verbotsvertrag ist mehr als ein Symbol, es ist der Anfang vom Ende.

Der Friedensnobelpreisträger von 2017, ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) formuliert Klartext: „Anstatt ihr politisches Kapital auf die Beibehaltung der Massenvernichtungswaffen des Kalten Krieges zu investieren, sollte die NATO ihre Sicherheitskonzepte für eine Welt der asymmetrischen und nichtstaatlichen Kriegsführung, auf Drohnen- und Cyberangriffe ausrichten. Sie sollte neue sicherheitspolitische Herausforderungen wie globale Pandemien, den Klimawandel sowie versehentliche Atomwaffendetonationen endlich in den Blick nehmen. Diese Gefahren lassen sich nicht mit Atomwaffen abschrecken.“

Luxemburg sollte seine sture ablehnende Haltung aufgeben. Zumindest sollte die Haltung der belgischen Regierung übernommen werden. Mit etwas Mut, sowie im Respekt der Beschlüsse der Vereinten Nationen und des humanitären Völkerrechts, wäre es angebracht dem Verbotsvertrag beizutreten.

Die Verfechter einer atomwaffenfreien Welt wissen sehr wohl, dass dieser Vertrag die Dinge nicht radikal von heute auf morgen verändern wird. „Das Inkrafttreten des Vertrages ist der Höhepunkt einer weltweiten Bewegung, um auf die katastrophalen humanitären Folgen eines jeden Einsatzes von Atomwaffen aufmerksam zu machen“, sagt UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Er ist überzeugt, dass der Vertrag ein zusätzliches Druckmittel sein wird und dass die Länder, die heute dagegen sind, am Ende ihre Strategie ändern werden. Der ehemalige sowjetische Staatschef und Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow betont „Es werden schwierige nukleare Abrüstungsverhandlungen, die jetzt beginnen müssen und, davon bin ich überzeugt, auch beginnen werden.“ Der nun in Kraft tretende Verbotsvertrag wird hierzu hilfreich sein.

Vor wenigen Wochen diskutierten Experten anlässlich einer UN-Webinar-Tagung über die Vorschläge, die zu einer atomwaffenfreien Welt führen könnten. Die Experten setzten einen Zeitraum bis spätestens 2045, um dieses Ziel zu erreichen. Es wäre ein erstrebenswertes Geburtstagsgeschenk für die Vereinten Nationen, die in dem Jahr ihr 100jähriges Bestehen feiern werden.

Raymond Becker
Koordinationsteam der Friddens- a Solidaritéitsplattform