Multimaterialismus steht heutzutage nicht mehr hoch im Kurs. Seit Amtsantritt des erratischen amerikanischen Präsidenten vor fast 4 Jahren, wird das Prinzip der Zusammenarbeit mehrerer Staaten bei der Lösung grenzüberschreitender Probleme, politischer, technischer oder allgemein gesellschaftlicher Art, regelmäßig torpediert. Seitdem setzen die USA vermehrt auf Unilateralismus, eine Politik, die dadurch charakterisiert ist, dass ein Staat nur dann mit anderen Staaten kooperiert, wenn dies seinen eigenen Interessen entspricht.
Trumps Ausstieg aus dem Klimavertrag von Paris; die Kürzung der Mittel für die Vereinten Nationen; der Ausstieg aus dem UN-Menschenrechtsrat; das Gezeter um die Weltgesundheitsorganisation WHO; die sture Verhinderungspolitik in der Welthandelsorganisation WTO; die Kündigung des Atomvertrages mit dem Iran; die Aufkündigung des INF-Vertrages, eines Vertrages über atomare landgestützte Mittelstreckenraketensysteme in Europa; die aus purer Eitelkeit wegen China getätigte Aufkündigung des Weltpostvereins; der Austritt aus der UN-Vereinigung für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNESCO; nachweisbare Verstöße gegen das Völkerrecht; den Frontalangriff auf den Internationalen Gerichtshof der UN oder die massive Beeinträchtigung der Arbeitsweise des Internationalen Strafgerichtshofs (Den Haag), ein Strafgericht außerhalb der UN, sind Provokation und Missachtung der internationalen Gemeinschaft.
Man kann manches an internationalen Verträgen und Institutionen bemängeln und kritisieren, aber diese Kündigungen, Rückzüge, Nichtteilnahmen an Problemlösungen, sind Ausdruck einer tiefen, generellen Ablehnung der gemeinsamen Problem- und Konfliktbewältigung.
Ein weiterer angekündigter Rückzug wird das Bild dieses „America First“-Gejohles vervollständigen. Rezente Ankündigungen lassen schlussfolgern, dass die USA sich aus dem Vertrag zur Abrüstungskontrolle „Open Skies“ zurückziehen werden. Der Vertrag über den „Offenen Himmel“ ist ein multilaterales Abkommen zwischen 34 Mitgliedsstaaten in Nordamerika und Europa oder vereinfacht ausgedrückt, zwischen Vancouver und Wladiwostok. Unterschrieben im Jahre 1992 und seit dem Inkrafttreten 2002, ermöglich der Vertrag es, unbewaffnete Beobachtungsflüge nach vorher festgelegten Quoten über das gesamte Staatsgebiet aller Teilnehmer durchzuführen. Ziel ist es, vor allem militärische Veränderungen zu beobachten. Mit diesem Abkommen sollte nach Ende des sogenannten „kalten Krieges“, zwischen den NATO-Staaten und den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes, Vertrauen aufgebaut, Transparenz bei der Rüstungskontrolle und bei Truppenbewegungen geschaffen werden. Über 1.500 solcher Flüge haben seit 2002 bis 2019 dazu beigetragen.
Das Motiv für die Kündigung dürfte niemand überraschen: Russland habe gegen den Vertrag verstoßen. Seit 2014 gibt es innerhalb des „Open Skies“-Vertragswerkes Streit über das Kaliningrader Gebiet. Bei der Unabhängigkeit der baltischen Staaten, wurde das Gebiet russische Exklave. Militärisch gesehen ist das Kaliningrader Gebiet die wohl bestgerüstete Region in Europa. Da Kaliningrad nur 250 Kilometer nördlich von Warschau, der Hauptstadt des NATO-Mitglieds Polen liegt, hat dies schon militärische Brisanz.
In besagtem Jahr dauerte ein polnischer Beobachtungsflug über der Exklave wesentlich länger als vertraglich eingeplant. Russische Proteste waren die Folge und die Regierung änderte damals eigenmächtig die Regeln für ihre Exklave. Richtig ist, dieses eigenmächtige Vorgehen gestattet das Regelwerk nicht. Die Experten der bundesdeutschen Stiftung „Wissenschaft und Politik“ kamen aber zu der Einschätzung, dass Beobachtungsflüge über die Exklave noch „in ausreichendem Umfang“ möglich seien. „Eine essenzielle Einschränkung der Vertragsimplementierung liegt demnach nicht vor“ so die Meinung der Experten.
Es geht aber um wesentlich mehr als um Schuldzuweisungen oder analysierende Erklärungen. „Open Skies“ ist wie der schon gekündigte Vertrag betreffend die Mittelstreckenraketen, ein Fundament der europäischen Sicherheitspolitik. Die Auflösung dieses Vertrages wäre ein Schlag gegen noch bestehende europäische Sicherheitsinstrumente. Die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung würde zunehmen.
Dass die amerikanische Diskussion nur vorgeschoben ist, könnten auch folgende Überlegungen der Gegner des „Open Skies“-Abkommens belegen. Der Vertrag gelte als technisch überholt. Dank neuester militärischer Satellitenfähigkeiten, aber auch kommerzieller Angebote (man verfolge die Satellitendiskussionen in Luxemburg) sei man bereits in der Lage, gleichwertige Aufklärung zu betreiben. Der Vertrag liefere deshalb eigentlich keine neuen Informationen. Weiter möchte man die Kosten für die Erneuerung der eigenen für Überflüge genutzten Flugzeuge einsparen. Diese stammen noch größtenteils aus den 1960er Jahren und müssten dringend modernisiert werden.
Vielen Beobachtern ist klar, dass es den USA eigentlich darum geht, aus einschränkenden internationalen Regelverträgen auszusteigen. Nicht mehr und nicht weniger.
Der Austritt der Vereinigten Staaten müsste aber nicht unbedingt das Ende des Vertrages bedeuten. Dies hängt nun wesentlich von den europäischen NATO-Partnern und allen anderen Vertragsstaaten ab. Für Europa geht es um wesentliche Interessen ihrer Sicherheitsarchitektur. Folgende Initiativen wären angebracht. Gewusst ist, dass längst nicht alle Abgeordneten im amerikanischen Kongress, den Überlegungen ihres Präsidenten bei „Open Skies“ folgen. Ein konstruktiver Austausch wäre angebracht. Interessant ebenfalls eine Initiative gegenüber Russland. Von dieser Seite gehört ein klares Bekenntnis zum Regelwerk und etwaige Unstimmigkeiten zwischen den Vertragspartnern müssten geklärt werden. Eine unmissverständliche und klare Aussage für die Erhaltung dieses Vertrages muss den Verantwortlichen im Weißen Haus vermittelt werden. Der Austritt der USA würde laut Kündigungsregeln frühestens in 6 Monaten erfolgen. Es gilt diese Zeit zu nutzen.
Politische und diplomatische Initiativen sind bekanntlich nicht verboten. Es geht im europäischen und allgemein sicherheitspolitischen Interesse darum, den „Offenen Himmel“ zu erhalten.
Raymond Becker
Koordinationsteam der
Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg