„DIE STUNDE UNSERER SELBST IST GEKOMMEN.“

Laudatio im Namen des Cercle Vivi Hommel anlässlich des 10jährigen „Geburtstages“ des „Weltbuttek Dikrich“

28.11.2019

Bewusst habe ich dieses Zitat vom afrokaribisch-französischer Schriftsteller und Politiker Aimé Césaire als Einstieg für diese Überlegungen anlässlich des 10jährigen Bestehens des „Weltbutteks“ hier in Diekirch gewählt.

Angesichts des heutigen Zustands unserer Erde und dem Fakt, dass unsere Gesellschaft in einer Krise befindet, wirkt das Zitat zeitgemäßer denn je.

Die Zunahme globaler Katastrophen, die Zerstörung von Lebensgrundlagen, der Hunger, der Klimawandel (der rezent veröffentlichte UN-„Emissions Gap Report“ verdeutlicht drastisch den Ernst der Lage), die Migration und Flüchtlinge, der Plastikschock, die wachsende Gewalt, der unbeschreibliche Hass, die horrenden steigenden Rüstungsausgaben, die weltweiten Konflikte und Kriege, der entfesselte Finanzkapitalismus, die ideologische, militärische, technologische und politische Macht – dies ohne politische und parlamentarische Kontrolle – der weltweit 500 größten Konzerne, das massive Artensterben, die weltweiten extremen sozialen Ungleichheiten, ungerechte Handelsabkommen, das sich Zurückziehen in nationale Grenzen oder die Implosion der internationalen Institutionen … Da läuft so manches aus dem Ruder.

Es ist dringend notwendig angesichts des heutigen Zerstörungspotentials die Ursachen dieser Fehlentwicklungen und Katastrophen zu benennen und zu überwinden.

Im Gesellschaftsvertrag aus dem Jahre 1762, schreibt der Philosoph Jean-Jacques Rousseau: „Das persönliche Glück ist das erste Lebensziel aller Menschen. (…) Die einzige Instanz, die es zu beachten gilt, ist die himmlische, unsterbliche Stimme des eigenen Gewissens.“

Die in der Philosophie immer wieder gestellte Frage nach dem Glück, eine uralte Menschheitsfrage also, hat an Brisanz und Aktualität nichts eingebüßt.

  • Wie steht es also mit dem „Streben nach Glückseligkeit“ in unseren industrialisierten Ländern?
  • Macht unser Reichtum wirklich glücklich oder verarmen wir nicht auch auf bestimmte Weise kulturell, emotional, geistig in einer auf Massenkonsum, Egoismus und Spaß ausgerichteten Gesellschaft?
  • Was sagt uns die von Rousseau erwähnte „einzige Instanz“, die es in diesem Streben zu beachten gilt?
  • Wie steht es mit dem „Bestreben nach Glückseligkeit“ als einem „unveräußerlichen Recht“ aller Menschen, also auch der untersten Milliarde Menschen, die chancenlos dahinvegetieren?
  • Kann man überhaupt auf Kosten anderer seinen Reichtum erhalten und genießen? Darf man ein Wirtschaftssystem erhalten, das Armut schafft, ja, sich von Armut und Ausbeutung nährt?

Brisante und aktuelle Thesen wurden im Jahre 1994 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Toblacher Gespräche“ zum Thema „Ökologischer Wohlstand statt Wachstumsträume“ formuliert. „Am Ende dieses Jahrhunderts sind wir mit neuen Wahrheiten konfrontiert:

Die Wahrheit über uns: Sparen

Die Wahrheit über die Natur: Uns begrenzen

Die Wahrheit über unser Verhältnis zur dritten Welt: Abgeben

Die Wahrheit über die zukünftigen Generationen: Teilen“

Die Frage nach dem Glück, die Toblacher Thesen sind aktueller denn je, sie haben einen direkten Bezug zu der Arbeit im „Dikricher Weltbuttek“.

„Dikricher Weltbuttek“, das Wort „Buttek“ ist ja eigentlich eine starke Untertreibung – „Bewegung“ wäre wohl sehr viel passender. Schließlich ist der „Weltbuttek“ in Diekirch aus einer mittlerweile weltumspannenden Bewegung hervorgegangen. Und wenn ich sage weltumspannende Bewegung, so glaube ich, dass die Vernetzung in vielen Ländern eine Stärke dieser Initiative ist. Seit 10 Jahren setzt euer „Weltbuttek“ hier in der Gemeinde und in der Region jede Menge in Bewegung!

In Europa eröffnete 1969 der erste „Wereldwinkel“ (Weltladen) in den Niederlanden in Breukelen. Von dort nahm die Bewegung in Europa ihren Anfang. Von Anfang an informieren die Weltläden ihre Kunden über die Produkte, die Menschen, die sie herstellen und über das Herkunftsland. Sie verdeutlichen, dass die Menschen im Süden und im Norden von ungerechten Welthandelsstrukturen betroffen und an ihnen beteiligt sind. Historisch betrachtet arbeiten die Weltläden überwiegend mit wirtschaftlich und politisch benachteiligten Produzenten in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammen.

Ökologische, soziale und menschenrechtliche Kriterien standen und stehen immer im Vordergrund aller Überlegungen.

In den Weltläden ähneln sich die angebotenen Waren aus dem Süden. Diese sind Kaffee, Tee, Kakao und Schokolade, Honig, Gewürze, Zucker, Fruchtsäfte und getrocknete Früchte, auch (Kunst-)Handwerk, Haushaltsartikel oder Kleidung.

Es kommt aber noch etwas ganz Entscheidendes hinzu. Wichtiger Bestandteil der Arbeit, auch in Diekirch ist das gesellschaftspolitische Engagement der Weltläden. Anlässlich ihrer Feierlichkeiten war beispielsweise das Thema Amazonas im Fokus. Der „Weltbuttek“ zeigt hier seine Bereitschaft wertvolle Sensibilisierungsinitiativen in die Wege zu leiten. Économie solidaire oder Kooperation mit nationalen sozialen Organisationen sind hier fest verankert. Global denken, lokal handeln wird konkret praktiziert.

Ich zitierte Thesen der Toblacher Gespräche in Bezug auf Sparen, Begrenzen, Abgeben, Teilen.

In wenigen Stunden bricht in unseren industrialisierten Ländern eine Art Konsum-Massenhysterie aus. Die Hysterie, diesen inhaltsleeren Schwachsinn, nennt man „Black Friday“. Und um die Massen bei der Konsumstange zu halten, folgt wenige Stunden später der „Cyber-Monday“. Die aus den USA importierten Aktionstage haben in Europa Fuß gefasst.

Erlaubt mir hierzu eine Überlegung zur Konsumgesellschaft:

  • 1972 veröffentlichte der Club of Rome seine Studie „Die Grenzen des Wachstums“. Die skizzierten Trends dieses Berichtes, die sozialen und ökologischen Folgeschäden des Massenkonsums, sind heute Realität. Unser produzierter Wohlstand ist nur durch den massiven Verbrauch unserer Ressourcen zu haben. 1972 lag der Earth Overshoot Day am 10. Dezember. Ab diesem Tag verbrauchten wir mehr natürliche Ressourcen als nachwachsen, wir lebten auf Pump. Heute 2019 lag dieser Tag auf dem 29. Juli.
  • Evi Hartmann ist Professorin für „Supply Chain Management“ an der Uni Erlangen-Nürnberg. Hartmann rechnet vor: „Ich trage Kleidung, besitze ein Smartphone und fahre Auto. Das sind ungefähr 60 Sklaven, die derzeit für mich arbeiten, ob ich das möchte oder nicht.“

Klartext: Um unseren Lebensstil garantieren zu können, „beschäftigt“ jeder von uns weltweit im Durchschnitt 60 Sklaven, und die Bezeichnung Sklaven ist heutzutage absolut berechtigt.

Mahatma Ghandi prägte den Gedanken: Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.

Sind wir bereit abzugeben, zu teilen?

Warum diese Überlegungen zu unserer Konsumgesellschaft? Weil die Weltläden das Gegenteil eines verrückten Kaufrauschs propagieren. Sie setzen auf Verantwortung, Solidarität und Empathie. Die Weltläden plädieren für eine humane Gesellschaft, so wie der französische Soziologe Edgar Morin formuliert: „“Pour qu’il y ait un vrai changement il faut changer personnellement et de structures. Le commerce équitable, l’agriculture biologique, un État investisseur sociale, l’économie verte sont les prémices d’une nouvelle humanité“.

Wenn ich mir die neuen sozialen Bewegungen ansehe (es begann bekanntlich im Frühjahr 2011 mit den Indignados in Spanien – bis heute zu Fridays for Future, Extinction Rebellion und die rezente Sardinen-Bewegung in Italien), wo es um Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit, Umwelt, Klima oder Frieden geht, so glaube ich, dass diese neue Graswurzelbewegung perspektivisch auch den hysterischen Konsumhype in unserer Gesellschaft aufbrechen kann. Mir machen Gespräche mit Verantwortlichen der Bewegung „Youth for Climate“ oder „Fridays for Future“ Mut. Verantwortungsbewusster Konsum ist hier ein Thema.

Wir müssen es schaffen, dass der irre Konsumrhythmus nicht mehr unser Leben bestimmt.

Noch einmal die Toblacher Thesen von 1997: „ Eine faszinierende Aufgabe steht vor uns: eine Gesellschaft aufzubauen, die mit „langsamer, weniger, besser, schöner“ neue Werte findet, die Spirale der permanenten Nichtsättigung bricht, die illusorischen Wachstumsträume aufgibt und sich verantwortungsvoll dem guten Leben verpflichtet.“

Eine wichtige Handlungsebene hierfür ist das direkte Lebensumfeld, die Gemeinde, die Region. Man sollte dies nicht unterschätzen.

Es gilt bei der Bevölkerung eine Stimmung zu erzeugen, die ganz einfach Lust vermittelt seine angestammten Gewohnheiten in andere Bahnen zu lenken.

Vor 4 Jahren zeigte Jeremy Rifkin Wege einer dritten industriellen Revolution für Luxemburg auf. Stichworten waren und sind: Kreislaufwirtschaft, Energie, Mobilität, ökologische Landwirtschaft, lokale und regionale Lebensmittelproduktion oder clevere Nutzung des Digitalen. Wichtig auf diesem Weg ist die Bürgerbeteiligung.

Rifkin lieferte einen Geschirrkasten, diesen gilt es intelligent zu nutzen. Verschiedene Gemeinden in Luxemburg tun es mit einzelnen Projekten ansatzweise. Spannend wäre es mal eine kommunale Angehensweise dieser Rifkin-Ideen unter einer richtigen Bürgerbeteiligung auszuarbeiten. „Transition Towns“, also Gemeinden und Städte die den Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft gestalten, könnten als Vorbild dienen.

Spannend wäre es falls mal eine luxemburgische Gemeinde sich dem internationalen Netzwerk „CittàSlow“ anschließen würde. Ein Auszug aus dem Manifest der Bewegung: „… das ist eine Stadt, in der Menschen leben, die neugierig auf die wieder gefundene Zeit sind, die reich ist an Plätzen, Theatern, Geschäften, Cafés, Restaurants, Orten voller Geist, ursprünglichen Landschaften, faszinierender Handwerkskunst, wo der Mensch noch das Langsame anerkennt, den Wechsel der Jahreszeiten, die Echtheit der Produkte und die Spontaneität der Bräuche genießt, den Geschmack und die Gesundheit achtet …“

Nun stellt euch mal vor eine Gemeinde würde konsequent dieses Image nach Außen vermitteln: Zukunftsfähig (Rifkin), CittàSlow, Fairtrade, KlimaBündnis, Transition Town, das globale Denken und das lokale Handeln konsequent umsetzen etc.

Ich bin überzeugt viele Bürger*innen wären zu einem Engagement bereit.

Genau das ergibt das Wahrnehmungsbild einer Gemeinde. Genau dies ergibt ein innovatives Image einer Gemeinde. Genau dies wird bei konsequenter Umsetzung, einen Aufschwung in allen Lebensbereichen einer Gemeinde bewirken.

Für ein solches Umfeld setzen sich im Grunde genommen die Weltläden ein, auch der „Weltbuttek“ in Diekirch.

Anlässlich eines Geburtstages gratuliert und dankt man. All den geäußerten Gratulationen und Danksagungen schließt sich der Cercle Vivi Hommel von Herzen an.

Ein Wunsch sei geäußert: Eigentlich könnte der „Weltbuttek“ aufgrund seines Selbstverständnisses, eine Art „Ideenlabor“ mit all den schon hier tätigen Vereinigungen und Mitbürger*innen initiieren. Ein „Ideenlabor“ das Diekirch bei der konsequenten Umsetzung einer global denkenden und lokal handelnden Gemeinde unterstützen würde.

Wie formulierte Aimé Césaire. „Die Stunde unserer selbst ist gekommen.“ Recht hatte und hat der engagierte Schriftsteller.