Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter?

„We must all learn to live together as brothers or we will all perish together as fools“.
Martin Luther King

Mit der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an die „Internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung“ (ICAN) setzte das Nobelkomitee in Oslo ein klares Zeichen. ICAN bemüht sich um ein vertragliches Verbot atomarer Waffen. „Wir senden Botschaften an alle Staaten, vor allem die mit Atomwaffen“, sagte die Vorsitzende des norwegischen Nobel-Komitees, Berit Reiss-Andersen. Der Preis sei ein Aufruf an alle Atommächte, „ernsthafte Verhandlungen“ mit dem Ziel einer schrittweisen und „sorgfältig überprüften Vernichtung“ aller Atomwaffen in der Welt zu beginnen.

Die rezente Vatikankonferenz „für eine atomwaffenfreie Welt und integrale Abrüstung“ behandelte erneut das Thema, das aufgrund gefährlicher Eskalationen in verschiedenen Weltregionen dringend in den gesellschaftlichen Fokus gehört.

Gilt der Leitsatz der 60ger Jahre in Bezug auf den Einsatz von Atomwaffen „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“ in unseren heutigen Zeiten noch?

Dieser Leitsatz bildete den Kern der damaligen nuklearen Abschreckung. Es ging aufgrund der massiven nuklearen Waffenarsenale um die Drohung einer wechselseitigen gesicherten Vernichtung. Manche Analysten sahen diese „Mutual Assured Destruction“, dieses Gleichgewicht des Schreckens, als ein Stabilitätsfaktor im gesamten Ost-West-Verhältnis.

Vor wenigen Tagen formulierte der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus: „Die Lage ist ernst, wenn Staatsführer über Nukleararsenale sprechen wie Kinder über ihre Spielzeugwaffen“. Was war passiert, dass Yunus zu dieser Aussage gelangte? Ohne Zweifel das Aufplustern des amerikanischen Präsidenten und des nordkoreanischen Diktators, aber allein hiermit wäre die Analyse zu kurz gegriffen.

In ihrem jüngsten Jahresbericht kommt das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) zum Schluss, dass es zwar weltweit weniger Atomwaffen gebe, aber die Investitionen in die Modernisierung bestehender Arsenale gestiegen ist und der Abbau dieser Arsenale zunehmend langsamer wird. Das Institut analysiert aufgrund dieser Tatsachen, dass alle neun Atomwaffen-Staaten (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea) nicht bereit sind, ihre Nuklearwaffenarsenale in absehbarerer Zukunft aufzugeben.

Anfang 2017 besaßen diese neun Staaten schätzungsweise 14.935 Atomsprengköpfe, was einen geringen Rückgang gegenüber der Zahl von 15.395 im Vorjahr darstellt. Diese Reduzierung beruht vor allem auf den Bemühungen der USA und Russland, die 93 Prozent des weltweiten Nukleararsenals besitzen.

An Zufall glaubten die wenigsten im August dieses Jahres. Fast auf den Tag genau als die USA mit Atombomben am 6. und 9. August 1945 die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki zerstörten, äußert sich der US-Präsident mit Nuklearwaffen-Drohgebärden. Im verbalen Schlagabtausch mit Nordkorea behauptete der Präsident, dass sein erster Befehl war, „das nukleare Arsenal zu erneuern und zu modernisieren“. Zu bemerken hier, dass auch schon unter Obama das nukleare Arsenal nicht ausgebaut, etwas verkleinert aber konsequent modernisiert wurde.

Die USA investieren derzeit Milliardenbeträge, um ihr Atombombenarsenal zu überholen. Unter dem Projektnamen B61-12 werden Nuklearpräzisionswaffen entwickelt, deren Sprengkraft regulierbar ist. Es sind dann nicht die dicken, über 4000 Kilo schweren Atombomben, wie vor gut 70 Jahren. Nun kommen etwa 350 Kilo schwere Bomben, die auf wenige Meter genau ins Ziel gesteuert werden. Diese Erneuerung und Modernisierung sei das historisch teuerste Bombenprojekt, heißt es in einer Präsentation des „Bundes Amerikanischer Wissenschaftler (FAS)“. Zugleich ziehen sie einen bildhaften Vergleich: Jede Bombe koste mehr, als wenn man ihr Gewicht in purem Gold aufwiegen würde.

Genau hier kommen wir zum Kern der Befürchtungen von Friedensforschern und Abrüstungsbefürwortern. Es ist die leichtere Einsetzbarkeit der neuen Atombomben. Während ihre Befürworter argumentieren, dass sich durch die regulierbare Sprengkraft die Zahl der Toten und Verletzten und die sonstigen Schäden im Umkreis verringern lässt, könnte genau dieses Argument ihren Einsatz fördern. In den USA läuft eine breite Expertendebatte zur Frage, ob es zum Abwurf von Nuklearwaffen gegen Nordkorea kommt, um die dortigen Raketenanlagen zu zerstören. Otfried Nassauer, Waffenexperte, Friedensforscher und Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), hat dabei keine Zweifel: „Mit den neuen US-Atombomben wird die Hemmschwelle zum Einsatz gesenkt.“

Nassauer argumentiert mit dem Fähigkeiten-Mix dieser neuen US-Atomwaffen: Einstellbare Sprengkraft, höhere Zielgenauigkeit und größere Zerstörungswahrscheinlichkeit bei zugleich weniger unbeabsichtigten Begleitschäden. Das mache den Einsatz verlockender: „Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie als effektives Mittel der Kriegsführung betrachtet und deshalb auch wieder entsprechende Einsatzplanungen entwickelt werden.“ Für den Experten steht außer Zweifel, dass das bisherige System der nuklearen Abschreckung labiler wird. Ein Anstieg der nuklearen Kriegsgefahr muss in Betracht gezogen werden. Atomwaffen würden eben nur so lange abschreckend wirken, wie sie nicht eingesetzt werden, gibt der Friedensforscher zu bedenken. Man könne die modernisierten Atombomben leichter gegen Staaten wie Nordkorea einsetzen, die selbst nicht die Möglichkeit eines sogenannten Zweitschlages haben, wie etwa Russland.

Der Leitsatz der 60ger Jahre „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“ wird somit obsolet.

Nicht nur die USA erneuern und modernisieren ihr atomaren Arsenale. Alle 9 Nuklearmächte tüfteln an neuen Trägersystemen und Modernisierungsmöglichkeiten. Frappant zudem, dass eigentlich niemand so richtig wahrnimmt, dass sich Amerika und Russland in einem neuen atomaren Rüstungswettlauf befinden.

„Demnächst überm Westerwald?“ titelte Joachim Bittner in der ZEIT 44/2017. Seine fundierten Überlegungen gipfelten in der Feststellung, dass in Europa neue, gefährliche atomare Raketen stationiert werden könnten. Denn was in den kommenden Monaten in den USA und Russland entschieden wird, könnte zu einer hochriskanten Situation führen.

Eine solch mögliche Stationierung wäre auf dem Fliegerhorst Büschel im nahegelegenen Landkreis Cochem-Zell in der Eifel denkbar. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dort zum heutigen Zeitpunkt sogenannte B61 Atomwaffen gelagert werden. Die Sprengkraft dieser Bomben können gut das 20-fache Zerstörungspotential der Hiroshima-Bombe erreichen. Im Rahmen des US-Modernisierungsprogramms sollen diese Bomben durch zielgenauere Varianten ersetzt werden. Aber diese modernen Atombomben dann mit Militärflugzeugen ins Ziel bringen, ist längst keine 100% Abschreckung mehr. Die moderne russische Luftabwehr könnte diese Jets erkennen und abschießen, mit allen seinen nuklearen Folgen an den Stellen wo dieser Abschuss passieren würde.

Dass Militärplaner dies so analysieren überrascht kaum. Daher gibt es eine weitere Variante: Atomar-bestückte Marschflugkörper sollten in Europa stationiert werden. Cruise-Missiles oder Marschflugkörper, haben aus militärischer Sicht den Vorteil, dass sie unter dem feindlichen Radar hindurchjagen können, weil ihre Flughöhe sich der Bodenkontur anpasst, ein Abschuss ist so fast unmöglich.

Damit keine falschen Vorstellungen entstehen, Russland ist hier alles andere als ein Friedensengel. Russische Militärs sprechen von „deeskalierenden“ Nuklearschlägen auf Europa. Bei russischen Manövern wird schon mal ein kleiner „Atomangriff“ auf Europa (genauer Warschau) durchgespielt. Russische atomar-bestückte Marschflugkörper, so glaubwürdige Strategieanalysten, könnten potentielle Ziele in ganz Europa erreichen. Dass Russland mit der Entwicklung ganz neuer Raketentypen gegen bestehende Abkommen verstößt ist seit längerem bekannt.

Der jüngste Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen, dem 122 Staaten im Juli in New York zustimmten, ist ein wichtiges Dokument. Demnach sind Atombomben ebenso illegal wie Streubomben, Landminen oder biologische und chemische Waffen.

Zusammen mit den bestehenden Verboten zur Verbreitung von Atomwaffen (Nonproliferation) und von Atomwaffentests, bietet dieser rezente UN-Vertrag ein wichtiges Handlungsinstrument für eine atomwaffenfreie Welt.

Auch wenn es aufgrund der aktuellen Gegebenheiten in den 9 Atomstaaten unmöglich erscheint an nukleare Abrüstung zu denken, bleibt es von größter Bedeutung sich für eine Welt ohne Atomwaffen einzusetzen.

Die Zivilgesellschaft ist wie in den 80ger Jahren, in den Zeiten der Friedensbewegung, gefordert!

Raymond Becker

www.cerclevivihommel.lu

14.11.2017

Vivi Hommel Präis 2017

Der Cercle de Réflexion et d’Initiative vergibt periodisch einen Vivi Hommel Preis um einer engagierten Persönlichkeit oder Vereinigung zu danken..

Das Schaffen für die Menschenrechte, der Einsatz für Friedenspolitik, Friedenspädagogik, Gewaltlosigkeit, sowie das Einstehen der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen (UN), die der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen, sind die Kriterien für die Auswahl der jeweiligen Kandidaten.

Diese Ziele wurden in Anlehnung an den UN-Entwicklungsprozess der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) entworfen und traten am 1. Januar 2016 mit einer Laufzeit von 15 Jahren (bis 2030) in Kraft.

Anbei das Reglement sowie die organisatorischen Modalitäten dieses Preises :

Règlement d’attribution du prix de reconnaissance :
« Vivi Hommel Präis ».

Il est institué au sein du Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel asbl un prix de reconnaissance portant la dénomination « Vivi Hommel Präis »

Le prix peut être attribué annuellement.

Le prix a pour objectif d’encourager la recherche, la promotion, la favorisation et l’application de toutes initiatives ou activités ayant trait aux dimensions de la paix, du désarmement, de la non-discrimination, de l’égalité, de la justice, de la non-violence, de la tolérance, du respect de la dignité humaine, de l’éducation à la paix et aux objectifs de développement durable des Nations Unies pour éradiquer la pauvreté, protéger la planète et garantir la prospérité.

Le prix peut être attribué à une personne physique, une institution ou une association.

Les membres de l’asbl Cercle de Réflexion et d’Initiative Vivi Hommel peuvent introduire jusqu’à la mi-juillet des propositions quant à l’attribution du prix de l’année en cours. Les propositions doivent être motivées.

Le conseil d’administration de l’asbl CRI Vivi Hommel décidera au en 2017 plus tard début novembre de l’attribution du «Vivi Hommel Präis».

Une mention spéciale peut être accordée sur décision du conseil d’administration.

La remise du prix se fera en date du 25 janvier 2018.